Panel_C

Der Zufall als Gestaltungsraum in der regionalen Kulturforschung. Einblicke in die Praxis kulturwissenschaftlich-volkskundlicher Landesstellen
Panelleitung: Dr. Lisa Maubach (Bonn)

In der täglichen Forschungspraxis spielt der Zufall oft eine prägende Rolle. Dies gilt auch für die Arbeit der Landesstellen wie bei der Sammlungsarbeit in Archiven, in der Mehrfachrolle der Forschenden im Feld und bei der ethnographischen Filmarbeit. Trotz ihrer strukturellen Heterogenität stehen sie vor vergleichbaren Herausforderungen. Sie agieren als „Kulturkümmerer“ (Aka 2022) und funktionieren als Scharniere, die „lokale Kompetenz und ehrenamtliches Engagement der Vielen in Museen, Heimat- und Geschichtsvereinen […] stärken“ (Zinn-Thomas 2024). Gleichzeitig sind sie staatliche Institutionen, deren Forschungen gefördert werden; nicht selten gilt es, die gewonnenen Forschungsergebnisse und Erkenntnisse in politische Handreichungen zu überführen. Die regionale Kulturforschung ist somit einem stetigen Aushandlungsprozess zwischen Ansprüchen der Forschenden und Bedürfnissen der interessierten Öffentlichkeit unterworfen. Zugleich ermöglicht die Kontinuität der Landesstellen eine Langfristigkeit in der Projektplanung, die kreative Spielräume in der inhaltlichen Ausrichtung zulässt. Das Panel, moderiert von Lisa Maubach (Bonn), nimmt diese Gestaltungsräume und die offenen Momente der Arbeit in den Blick und fragt anhand von Praxisbeispielen nach dem Umgang mit und den Potentialen von Unwägbarkeiten.

 

Dr. Sönke Friedreich (Dresden)
Zufallsfunde und Querläufer. Sammlung, Archivierung und Forschungsdatenmanagement

Das Sammeln von ethnografischem und kulturhistorischem Quellen- und Forschungsmaterial gehört zu den dauerhaften Aufgaben der Landesstellen. Lebensgeschichtliche Dokumente, wissenschaftsgeschichtlich bedeutsame Unterlagen, Fotografien sowie Audio- und Videoaufnahmen gehen aus der alltäglichen Arbeit hervor oder werden von Dritten zur Archivierung überlassen. Bei allen strategischen Überlegungen zum Sammeln und zur thematischen Schwerpunktbildung ist diese Arbeit ständig mit Unwägbarkeiten konfrontiert: Zufallsfunde, spontane Kontakte mit Außenstehenden, Überraschungen bei der Materialsichtung usw. verlangen stets neue Überlegungen und flexible Umgangsweisen mit den Quellen(geber*innen).

 

Andrea Graf M.A. (Bonn)
Alles im Kasten? Der Zufall in der ethnografischen Filmarbeit

Die filmische Dokumentation der Alltagskultur ist inzwischen ein Alleinstellungsmerkmal der Arbeit des LVR-ILR. Seit den 1960er Jahren werden kontinuierlich Filme gedreht. Deren Entstehungskontexte sind nicht zufällig, sondern geprägt von Forschungsinteressen der Filmemacher*innen und Themenpolitiken der Institution. Mit der Entwicklung der Methode hin zu einem ethnographischen Ansatz wird dem Zufall in der Entstehung eines Films ein größerer Raum zugesprochen: Die Begleitung der Forschungspartner*innen mit der Kamera und die Umstände vor Ort bei den Dreharbeiten schaffen Situationen des Unvorhergesehen, so lässt sich bspw. ein verpasster Moment nicht wiederholen.

 

PD Dr. Marketa Spiritova (München)
Die Unwägbarkeit des Dazwischenseins. Herausforderungen und Potentiale

Zufall, Unwägbarkeit und Kontingenz können den ethnografischen Forschungsprozess an vielerlei Stellen begleiten (Feldzugang, Interview, dichte Teilnahme, Archiv); wenn Konflikte auftreten oder verschiedene Erwartungshaltungen aufeinandertreffen; schließlich beim Wissenstransfer und der Ergebnispräsentation. Dies stellt die Forschenden, die sich nicht selten in einer Mehrfachrolle befinden und als Wissenschaftler*innen, Kultur- sowie auch staatliche Akteur*innen eine Scharnier- und Vermittlerfunktion einnehmen, vor Herausforderungen, es birgt aber auch Potentiale. In der Unwägbarkeit des „Dazwischenseins“ gilt es, kreative Lösungen zu suchen und Überraschungen und den Umgang mit ihnen nicht nur in der Forschung, sondern auch in der Kulturvermittlung und den politischen Handlungsempfehlungen als Erkenntnis leitende Momente frucht- und sichtbar zu machen.

 

Dr. Angelika Merk (Stuttgart)
Alles nur Zufall? Partizipative Praktiken im Feld

Partizipation als museale Strategie ist verbunden mit der Öffnung der Institution und dem Aufbau intensiver Beziehungen zwischen Museum und Publikum. Kollaborative Projekte mit Laien bieten zudem die Möglichkeit, aktuelle gesellschaftspolitische Fragen aufzugreifen und aktiv zu werden. Eine gelungene Partizipation ist jedoch kein Selbstläufer, sondern von verschiedenen Faktoren abhängig wie etwa der Zufälligkeit der Gruppenzusammensetzung, die einen maßgeblichen Einfluss auf das Ergebnis der Projektarbeit haben kann. Anhand von Beispielen aus der kooperativen Projektarbeit von Museum und Landesstelle in Stuttgart wird der Stellenwert und die Bedeutung des Faktors Zufalls herausgearbeitet und kritisch hinterfragt.

Wie die vorgestellten Facetten in das bei Landesstellen vorhandene Spannungsverhältnis zwischen Forschung, Vermittlung und Beratung eingeordnet werden können, soll abschließend diskutiert werden.

Christian-Albrechts-Universität Kiel

TU Dortmund, Emil-Figge-Straße 50 (Foto: Roland Baege)
TU Dortmund, Emil-Figge-Straße 50 (Foto: Roland Baege)

Veranstaltungsgebäude 2

Dietrich-Keuning-Haus, Dortmund
Dietrich-Keuning-Haus, Dortmund