Sektion_7_C

Demian-Noah Niehaus M.A.(Darmstadt) / Alexey Orlov M.A.(Darmstadt)
Der Einbruch von Kontingenz in depressiven Krisen vor dem Hintergrund der neoliberalen Gesellschaft

Anhand von 8 biografisch-narrativen Interviews mit Menschen, die den plötzlichen Einbruch von Kontingenz im Zuge einer depressiven Krise erlebt haben, wollen wir narrationsanalytisch untersuchen, wie sich die Herstellung von Kohärenz (Identität, Sinn) im Laufe einer solchen Krise verändert und welche Rolle sozio-ökonomische Faktoren dabei spielen. Theoretischer Hintergrund sind dabei Fragen von Agency und struktureller Determination in der vom Narrativ der Eigenverantwortung dominierten, von uns als ‘neoliberal’ bestimmten Gegenwartsgesellschaft.

Dafür wird am Einzelfall untersucht, welche Sinnformationen vor der Krise vorlagen und wie diese klassen- und generationenspezifisch konstituiert wurden, wie diese durch die Krise in Frage gestellt wurden und wie sie sich im weiteren Verlauf verändert haben. So sollen grundlegende Muster der Kontingenzbeziehung in der neoliberalen Gesellschaft herausgearbeitet werden.

In einem ersten Schritt werden dafür die individuellen und strukturellen Ursachen der depressiven Krise herausgearbeitet. Dabei wird deutlich, dass die Gegenwartsgesellschaft bestimmte Risikofaktoren für Depressionen forciert, insbesondere durch ausufernde und diffuse Leistungsanforderungen. Dann wird das Erleben der depressiven Krise beschrieben, die meist als Einbruch des negativ Zufälligen ins Leben der Biograf*innen erfahren wird. Schließlich untersuchen wir die Herstellung von Kohärenz im Nachgang der akuten Krise, wie also in der Bewältigung der depressiven Krise dem zunächst als zufällig wahrgenommenen Zusammenbruch des gewöhnlichen Lebensvollzugs ein neuer Sinn gegeben wird. Wir identifizieren dabei drei vorläufige Idealtypen der Kohärenz(-re-)konstitution nach einer depressiven Krise: (1) Retraditionalisierung – die Einhegung des Erlebten durch eine traditionale, z.B. religiöse, Weltsicht mit Eindeutigkeitsanspruch –, (2) kritische Desillusionierung – der Rückgriff auf sozialkritische Deutungsmuster – sowie (3) Festhalten am Ideal der Selbstverwirklichung, welches erst zur depressiven Krise geführt hatte.

Zuletzt soll diese Typologie in der aktuellen Theoriebildung etwa der sozialwissenschaftlichen Depressionsforschung (Alain Ehrenberg, Mark Fisher) und der Gegenwartsdiagnosen Andreas Reckwitz’ und Oliver Nachtweys verortet werden.

Christian-Albrechts-Universität Kiel

TU Dortmund, Emil-Figge-Straße 50 (Foto: Roland Baege)
TU Dortmund, Emil-Figge-Straße 50 (Foto: Roland Baege)

Veranstaltungsgebäude 2

Dietrich-Keuning-Haus, Dortmund
Dietrich-Keuning-Haus, Dortmund