Zeitagentur (Freilicht-)Museum.
Zeit | Sammeln | Präsentieren | Vermitteln
Leitung: Dr. Eike Lossin (Cloppenburg)
(Freilicht-) Museen verhandeln Zeit in sämtlichen Bereichen ihres Arbeitens – durch ihren bauhistorischen Bestand, ihre Sammlungen und ihr Sammlungsmanagement, ihre Dauer- und Sonderausstellungen und ihre pädagogische Vermittlung. Nicht zuletzt beeinflussen sie dadurch das alltags- und kulturhistorische Bewusstsein und Verständnis ihrer Besucher*innen, wenn nicht gar auch von sich selbst. Der Panel-Vorschlag Zeitagentur (Freilicht-)Museum reflektiert dazu auf Grundlage aktueller Forschungen und Projekte die Dynamik, Probleme sowie das Prozessuale ihres Tuns. Eingedenk ihrer jeweiligen Agency generieren Besucher*innen und Museumsmacher*innen wie auch die mobile und immobile materielle Kultur spannende und interdependente zeitliche Handlungsräume und Interpretationen.
Dr. Michael Schimek (Cloppenburg)
Zeitmaschine Freilichtmuseum? Das Freilichtmuseum als Generator populärer Geschichtsbilder
Seit 130 Jahren schaffen Freilichtmuseen real begehbare dreidimensionale Darstellungen vergangener und vergehender Wirklichkeiten. Dabei bedienen sie sich verschiedener Präsentationsweisen und Vermittlungsformate. Bis heute herrscht die charakteristische „naturalistische“ sogenannte ganzheitliche Präsentationsform in von den Museumsmacher*innen festgelegten synchronen „Zeitschnitten“ vor. Doch kommen inzwischen auch diachrone, verfremdende und irritierende Gestaltungen zum Einsatz. Themen und Formen des Dargestellten erweisen sich somit als zeitgebunden. Vor dem Hintergrund aktueller Präsentationen fragt der Vortrag danach, inwiefern Freilichtmuseen in der Lage sind, beim Publikum Geschichtsbilder zu generieren, und wie diese aussehen.
Carsten Sobik M. A. (Neu-Anspach)
Zeit-Systeme des Alltagssachkultur-Offerierens an und des -Annehmens in (Freilicht-)Museen
Die Abgabe von Alltagssachkultur an (Freilicht-)Museen sowie deren Aufnahme in die Sammlungen ist temporär fluktuierenden Einstellungen und Handlungen, Moden und Zeitgeschmäckern unterworfen. Im Vergleich etwa der 1970er- und 1980er-Jahre zu den 2000er- und 2010er-Jahren, führte das Sich-bewusst-werden der Museumsmacher*innen um die Notwendigkeit von strukturgebenden Sammlungskonzepten und -strategien zu einschneidenden Änderungen im Umgang mit dieser musealen Basisarbeit. Gleichsam bedeutsam, hat sich auch das Abgabeverhalten von Offerierenden verändert.
In welcher Weise diese ihrer jeweiligen Zeit unterworfenen Aspekte der alltäglichen Museumsarbeit sich verschoben haben und welche Hintergründe sich dazu erkennen lassen können, soll anhand von Praxisbeispielen des aktuellen Sammlungsmanagements und aus dem Umgang mit dem Sammlungsaltbestand des Freilichtmuseums Hessenpark exemplarisch aufgezeigt werden.
Dr. Markus Rodenberg (Bad Windsheim)
Fortschritt, Anachronismus, Nostalgie …? Die zeitlichen Dimensionen eines Museumsexponats am Beispiel des Sägefahrzeugs „Opel Blitz“
2020 übernahm das Fränkische Freilandmuseum Bad Windsheim einen Opel-Kleinlastwagen, Modell „Blitz“, gefertigt ca. 1937/38 und nachträglich mit einer Bandsäge versehen. Er war von etwa 1967 bis 1990 als mobile Brennholz-Sägerei im Umland von Schweinfurt im Einsatz. Der „Blitz“ zeigt beispielhaft, welche komplexen und widersprüchlichen Zeitkontexte sich an einem Objekt ablesen lassen. Seine einstige Nutzung verweist auf Alltagspraxen der Vormoderne mit Holz als Hauptressource, zugleich auf die flexible und unabhängige Mobilisierung eines ganzen Betriebs – mit Werkstatt, Transportmittel und Büro in einem. Dabei galt der „Blitz“ wegen seines schon damals beträchtlichen Alters als anachronistische Erscheinung. Im Museum steht er einerseits für die Technisierung des ländlichen Alltags und somit für ein vergleichsweise junges historisches Kapitel, andererseits generiert er beim Publikum mit seiner Ästhetik, seiner ‚simplen‘ Funktionsweise und seiner ‚entschleunigten‘ Geschichte nostalgische Gefühle.
Dr. Eike Lossin (Cloppenburg)
Das Erbe der Familie S. Ein Reihenhausinventar als Materialisierung von Alltagskultur im biografischen Kontext
Im Jahr 2017 war durch eine Erbschaft ein vollständiger Zwei-Personen-Haushalt auf das Museumsdorf Cloppenburg – Niedersächsisches Freilichtmuseum überkommen. Darin enthalten war ein Inventar aus einem Zeitschnitt der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, womit eine Zeitkapsel und demgemäß Zeugnisse eines bürgerlich-kleinstädtischen Lebens- und Arbeitsalltags in der Bundesrepublik vorlagen, die in dieser konzentrierten Form einen Glücksfall für das museale Sammeln, Forschen, Dokumentieren und Präsentieren darstellen. Durch Fotoalben, Briefwechsel, Tagebücher und akribisch geführte Haushaltsordner ließen sich die wechselvollen Biografien eines kinderlosen Ehepaars in ihrem Haushalt nachzeichnen. Die Kombination einer museal verankerten, materiellen Kulturforschung mit den analytischen Anknüpfungspunkten einer kulturwissenschaftlichen Biografie- und Flüchtlingsforschung erlaubt somit tiefe Einblicke in das Historizitätsbewusstsein der Erblasser im Rahmen ihres sozial definierten Raum-Zeit-Horizonts.
Thomas Kühn M. A. (Hagenow)
Verborgene Dinge – Zeitkapseln als museale Herausforderung
Alltagsgegenstände gelangen selten auf direktem Wege ins Museum. Einen Sonderfall stellen Dinge dar, die bewusst verborgen wurden, um sie für eine unbekannte Zukunft zu erhalten. Am Beispiel eines Bestandes an Glasnegativen einer professionellen Fotografin aus den 1930er und 1940er Jahren, der eingemauert und vergessen als Zeitkapsel viele Jahrzehnte und zwei politische Systemwechsel – den Nationalsozialismus und die DDR – überdauert hat, geht dieser Beitrag auf Fragen der Herkunft und (Neu-)Interpretation musealer Sammlungsobjekte ein. Über die Spurensuche und zeitspezifische Ansätze der Kontextualisierung laden diese Objekte zum Nachdenken über das „Verhältnis von Deponieren und Exponieren“ (Korff) und den Umgang mit historischen Distanzen zu den überlieferten Bildinhalten ein.