Panel G

Panel G | Gewaltvolle Alltäglichkeit. Forschungsethik in Feldern ausübender Gewalt

Panelleitung: Dr. Stephanie Schmidt (Hamburg)

Physische Gewalt ist ein präsenter Teil des gesellschaftlichen Alltags und damit Forschungsthema ethnogra- fischer Arbeiten, die sich aus vielfältigen Perspektiven mit dem Erleiden oder Tun von Gewalt beschäftigen. In diesem Panel werfen wir die Frage nach dem forschungsethischen Umgang mit der (augenscheinlichen) Normalität und Alltäglichkeit von Gewalt auf und widmen uns aus dieser Perspektive den Herausforderungen ethnographischer Forschung in gewaltvollen Alltagen. In den Beiträgen des Panels werden ethnographische Ansätze und theoretische Perspektiven auf die Ambivalenzen von Gewalt und ihrer (Außer-)Alltäglichkeit präsentiert. Damit wird eine kulturanthropologische Perspektivierung auf die (scheinbaren) Grenzbereiche des Alltags ermöglicht und die Frage danach gestellt, wie gewaltvolle Alltäglichkeiten erforscht und dargestellt werden können.

 

Dr. Marion Näser-Lather (Innsbruck/AUT), Dr. Stephanie Schmidt (Hamburg)
Gewalt als Arbeit – Forschungsethische Herausforderungen in gewaltvollen Feldern

Bei Forschungen in gewaltvollen Feldern, wie in der Polizei oder im Militär, zeigt sich Gewalt als fester Bestandteil des Arbeitsalltags der Akteur:innen, wodurch Forschende mit unterschiedlichen Konfigurationen und Bedeutungs- zuschreibungen gewaltförmigen Handelns konfrontiert sind. Während die Gewalt der Anderen als zu sanktionieren und problematisch gilt, wird das Gewalthandeln der institutionalisierten Gewalt-Arbeit als notwendig normalisiert. Auf Basis empirischer Forschungen in der Polizei und im Militär, stellt der Vortrag die methodologische Frage danach, was Vulnerabilität (im Kontext des forschungsethischen Paradigmas Do-no-harm) in Settings bedeutet, in denen die Forschungspartner:innen gewaltausübende Akteur:innen sind und wie sich Forschende dazu positionieren können.

 

Dr. Friederike Faust (Berlin)
Forschen in Haft: Zur Komplizenschaft mit Institutionen der langsamen Gewalt

Institutionelle Gewalt im Frauengefängnis ist nicht spektakelhaft. Sie vollzieht sich im Alltag langsam und still in Zeit und Raum verteilt – für die inhaftierten Frauen ist sie jedoch deutlich spürbar. Vor dem Hintergrund dieses Gewaltverhältnisses eruiert der Beitrag forschungsethische Herausforderungen der teilnehmenden Beobachtung in einer Institution, die mittels hoher Hürden und klarer Regeln für Forschungen die Komplizenschaft der Forscherin erbittet.

 

Dr. Julian Genner (Freiburg)
„Ich möchte, dass du mit dem Thema Waffen fair umgehst“ – Forschung in einem bewaffneten Feld

Im Kontext des Preppens wird das Überleben in der Krise in Metaphern des Kampfes beschrieben. Krisenszenarien sind gewaltvolle Fantasien, in denen „plündernde Horden“ ihr Unwesen treiben. Für viele meiner Forschungs- partner:innen ist „Selbstverteidigung“ integraler Bestandteil der Krisenvorsorge. Diese beinhaltet bisweilen Schusswaffen, deren Bedeutung ambivalent bleibt. Einerseits sind Forschungspartner:innen bestrebt, ihre Fähigkeiten und Bereitschaft zur „Selbstverteidigung“ zu demonstrieren, andererseits darauf bedacht, das eigene Gewaltpotenzial zu verschleiern. Was bedeutet dann ein „fairer“ Umgang mit dem Thema Waffen, den Forschungs- partner: innen einfordern? Der Beitrag richtet den Fokus auf die forschungsethischen Herausforderungen im Umgang mit der Euphemisierung und Verschleierung von Gewalt.

 

Dr. Stefan Wellgraf (Berlin)
Walks on the Right Side. Ethnografische Grenzgänge im (Ost-)Berliner Hooliganmilieu

Hooligans haben eine ausgeprägte Gewaltneigung, als „Freunde der Dritten Halbzeit“ suchen sie typischerweise im Umfeld von Fußballspielen nach gewaltsamen Konfrontationen. Seit den 1980er Jahren haben sie sich zudem als Anlauf- und Kristallisationspunkte von straßenorientierten rechten Bewegungen erwiesen. In meinem Vortrag schildere ich, warum Gewalt ein Schlüssel zum Verständnis der Hooligankultur ist und diskutiere zugleich forschungspraktische Dilemmata in der ethnografisch-kulturwissenschaftlichen Gewaltforschung, wobei vor allem die affektiven Dimensionen der Feldforschung sowie die Auswirkungen populärkultureller Legendenbildung im Zentrum stehen. Abschließend zeige ich anhand ausgewählter forschungsethischer Fragen einen praktisch umsetzbaren, emotional zumutbaren und forschungsethisch vertretbaren Weg für ethnografische Forschungen im Hooliganmilieu auf.

 

Manuel Bolz M. A. (Hamburg)
Rape and Revenge. Kulturanthropologische Perspektiven auf Vigilantismus und Gewaltfantasien

Der Beitrag basiert auf einer ethnografischen Masterarbeitsforschung aus den Jahren 2020/21 und beschäftigt sich mit zwei biografischen Rachegeschichten, in denen Rache – in Form von vigilanten Praktiken und Gewalt- fantasien – der Erfahrung und dem Erleben sexualisierter Gewalt folgt. Ausgehend von Interviewmaterial wird sowohl nach forschungsethischen Herausforderungen und moralischen Dilemmata wie auch nach dem Mehrwert einer kulturanalytischen Auseinandersetzung mit (Außer)Alltäglichkeit und Gewalt gefragt.

TU Dortmund

TU Dortmund, Emil-Figge-Straße 50 (Foto: Roland Baege)
TU Dortmund, Emil-Figge-Straße 50 (Foto: Roland Baege)

keuning haus

Dietrich-Keuning-Haus, Dortmund
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