Panel H

Endspiele. Vom Aufhören in der Kultur(wissenschaft)

Konzeption und Leitung: Prof. Dr. Sonja Windmüller (Kiel), Dr. Christine Bischoff (Kiel)

Glaubt man dem Feuilleton deutschsprachiger Medien, scheint es um eine „Kultur des Aufhörens“ nicht gut bestellt zu sein; dabei gilt Aufhören(-Können) als „hohe Kunst“, als Frage des Timings, des guten Stils. In diversen Kulturwissenschaften wird auf den Zusammenhang zwischen Aufhören, Hören und Gehorchen hingewiesen (Gronemeyer 2009) und dass diejenigen, die aufhören, sich dem Lauf der Zeiten und dem „galoppierenden Vorwärts“ verweigern, sich frei machen von Zwängen und Pflichten, vom „Rauschen der Betriebsamkeit“ (Jonas 2003). Zugleich zeigt sich „das Ende“ mit seinen Synonymen und seiner Anschlussterminologie als ein Grundbegriff von Moderne wie Postmoderne: mit dem Ausruf wahlweise des „Endes der Eindeutigkeit“, des „Endes der Theorie“ oder des „Endes der Geschichte“. Symptomatisch prägt es die Wende vom ausgehenden 20. zum beginnenden 21. Jahrhundert mit endzeitlichen Stimmungen (Klimakrise, Gefährdung demokratisch-politischer Systeme etc.) und scheint immer unvermeidlicher verbunden mit unseren unterschiedlichen sozialen und kulturellen Auseinandersetzungen und Orientierungsversuchen (Stierle/Warning 1996). Das Ende kann „widerfahren“ oder aktiv herbeigeführt werden; immer wird es geformt und ausgestaltet. Dass es ohne Ende keinen (Neu-)Beginn gibt, ist nicht nur eine Binse, sondern ein handlungsbestimmendes Moment, das sich in einer Vielzahl alltagskultureller Phänomene äußert, aber auch wissenschaftliches Arbeiten maßgeblich bestimmt.

Das Panel ist auf eine Dimension von Zeit gerichtet, die mit der Konzentration der jüngeren Volkskunde  /  Europäischen Ethnologie  /  Kulturanthropologie vornehmlich auf das Prozessuale, Fluide und Transformatorische aus dem Blick geraten zu sein scheint. Dabei lohnt es sich, dem Aufhören, dem Abschließen und Beenden – als Denkfigur, aber auch als Praktik, Technik, Strategie – epistemische Aufmerksamkeit zu widmen. Dies soll in den fünf Vorträgen des Panels aus unterschiedlichen Perspektiven geschehen.

 

Prof. Dr. Norbert Fischer (Hamburg)

Letzte Ausfahrt: Das Meer als Bestattungsort

Das Ende des Lebens ist kulturell und sozial mit den Bestattungsorten von Grab und Friedhof verbunden gewesen. Der aktuelle Trend zur Seebestattung im offenen Meer überwindet diese Fixierung auf eine identifizierbare, gestaltete Ruhestätte. Das Verlassen des vertrauten Territoriums zu Land macht die Seebestattung zu einem endgültigen Abschied: die Asche verschmilzt mit dem Wasser. Aufzuschlüsseln ist, inwieweit die hier praktizierte Entterritorialisierung des Lebensendes mit Denkfiguren von naturphysiologischen Kreisläufen u. ä. einhergeht.

 

Dr. Christine Bischoff (Kiel)

Austritt als Eintritt. Die Unmöglichkeit des Schlussmachens am Beispiel religiöser Konversionen

Geschichten starker Bekehrungen sind im Kontext religiöser Konversionen gängiges Genre. Sie gehen einher mit Vorstellungen vom abrupten Ende einer Religionszugehörigkeit und von der spontanen Hinwendung zu einer anderen Religion. Es ist jedoch bezeichnend, dass die meisten Religionen ausgesprochene Konversionsrituale nicht kennen oder diese eine nachträgliche Markierung dessen sind, was bereits stattgefunden hat. Dieses „Kontinuitätsparadoxon“ erkundet der Beitrag auf der Grundlage ethnografischen Materials.

 

Dr. Miltiadis Zermpoulis (Dortmund)

Das Ende einer Einrichtung: Was passiert mit den Dingen des Lebens, wenn wir gehen?

Die letzten Zeitzeugen einer vormaligen Flüchtlingssiedlung Thessalonikis sterben langsam aus. Zurück bleibt eine Materialität, die von den Nachkommen weder verstanden noch eingeordnet werden kann. Was aber machen die „Assemblages“ (Latour) mit dem Ethnologen, der die Menschen und Dinge kennengelernt hatte und die Dinge nach dem Tod der Informant*innen unsortiert auf dem Bürgersteig vor der ehemaligen Wohnung antrifft?

 

Beatrice Tobler Lic. Phil. (Kantonale Museen Luzern/CH)

Vom Erbstück zum Kulturerbe. Der Lauf der Dinge im Museum

Die Dinge gehören zu den Menschen und die Menschen zu den Dingen. Früher überlebten die Dinge die Menschen, die sie besaßen. Heute ist es vielfach umgekehrt. Der Umgang mit Dingen ist eine Auseinandersetzung mit der eigenen Endlichkeit. Wer Dinge wegwirft, entsorgt sie. Wer etwas ins Museum gibt, schließt anders ab. Hier wird das Erbstück zu Kulturerbe und mit Gegenständen Geschichte geschrieben.

 

Prof. Dr. Sonja Windmüller (Kiel)

Temporalität und Aushandlung. Vom Ende in der wissenschaftlichen Arbeit

Die Erscheinungsformen des Aufhörens in der Wissenschaft (Volkskunde /EE/KA) sind vielfältig, wie auch die Ausgestaltungen des Umgangs mit ihnen. Anhand ausgewählter Beispiele – theoretisch-konzeptionell wie fachpolitisch („Abschied vom Volksleben“), methodisch-methodologisch („Feldausstieg“), forschungs-praktisch (Deadlines, Projektabschlüsse) und wissenschaftsbiographisch (Abschiedsvorlesung) – soll über den Zusammenhang von Temporalität und Wissensproduktion/-repräsentation nachgedacht werden.

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