Plenarvortrag III

Prof. Dr. Alexandra Schwell (Klagenfurt /AUT)

Dringlichkeit. Zur Kulturanalyse der Urgenz als performativer Praxis

Dringlichkeit ist ein Konzept, das viele Bereichen des sozialen Lebens in spätmodernen Gesellschaften implizit und explizit durchdringt, von Klimadebatten und Migrationspolitik bis hin zur Managementliteratur. Im Begriff der Dringlichkeit verdichten sich Zeitlichkeit, Geschwindigkeit und Ausnahmezustand und verstärken sich gegenseitig. Die Dringlichkeit eines Themas wird in der Gegenwart formuliert, hält aber zugleich Projektionen für ein potenziell apokalyptisches Zukunftsszenario bereit. Es überrascht daher nicht, dass Dringlichkeit ein relevanter Bestandteil von Prozessen der Versicherheitlichung sowie affektiver populistischer Politiken ist, die imaginierte Bedrohungen als immanent darstellen. Dringlichkeit als politische Praxis ist von zentraler Bedeutung, um Unsicherheit zu schaffen und Ängste zu schüren.

Der Vortrag spürt der Dringlichkeit in verschiedenen Kontexten nach und argumentiert, dass Dringlichkeit in der Spätmoderne ein „Controlling Process“ (Laura Nader) ist, der den Habitus von Akteur*innen prägt und eine soziale Ordnung (re-)produziert. Es ist eine emotionale und politische Praxis, die zahlreiche Bereiche des sozialen und politischen Lebens durchdringt. Das Dogma der Dringlichkeit schafft eine permanente drohende Krise, die zur Handlung auffordert.

Der Vortrag zielt darauf ab, Dringlichkeit als kulturelle und soziale Praxis aus kultur­anthropologischer Perspektive zu betrachten und dabei zu zeigen, wie eine Kulturanalyse des Alltags die gesellschaftliche Wirkmacht der Dringlichkeit in den Blick nehmen kann. Dringlichkeit, so das Argument, ist eine performative Praxis, die emotionale Praktiken und Politiken informiert und gesellschaftliche Interessen und Machtverhältnisse abbildet.

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