Sektion 5

Zukunft entwerfen

Isabella Kölz MA (Würzburg)

Die Welt von morgen entwerfen. Design(en) als Zukunftsgestaltung

In unterschiedlichen Theorien des Designs (z. B. Tschischold 1925, Maldonado 1972, von Borries 2016) wird der Anspruch deutlich, die Welt, in der wir leben, durch Design „verbessern“ zu können. Die Denk- und Handlungsfigur der „Weltverbesserung“ durch Gestaltung lässt sich in unterschiedlichen Spielarten, bis in die Zeit der Institutionalisierung, von Design als Disziplin nachvollziehen und beschäftigt Gestalter*innen auch gegenwärtig (z. B. Social Design, Transformation Design, Speculative Design). In der Vorstellung von „Welt als Entwurf“ (Aicher 1991) präsentiert sich Gestaltung als (auf die Zukunft gerichtetes) Intervenieren mit moralischem Anspruch. Gestalten lässt sich als „a process of thought and planning” (Otto & Smith 2013: 1) und damit als aktive Zeitpraxis begreifen: Designen bedeutet, eine Idee zu konzipieren und zu planen, dieser Idee Form, Struktur und Funktion zu geben, bevor sie in der Welt ausgeführt wird.

Der Beitrag basiert auf Feldforschungen im Rahmen meines Dissertationsprojektes zu Wissenspraktiken in der Hochschulausbildung von Informationsdesigner*innen an der Fakultät für Gestaltung der Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg Schweinfurt und beschäftigt sich mit Narrativen und Praktiken von Design(en) im Modus des „Zukunftsgestaltens“: wie „machen“ und erzählen Designer*innen Zukunft?

Gerade weil Design seit Beginn der Industrialisierung besonders eng mit Konsum und Kapitalismus verwoben ist, setzen sich die Akteur*innen der Gestaltungsfakultät intensiv mit der Infragestellung globaler Produktions- und Konsumkulturen im Kontext einer fragilen Zukunft auseinander: Beim Designen sowie beim Denken über Design oszilliert Gestaltung als Werkzeug in der Herstellung von Welt stets zwischen Motiven und Mechanismen von Marktstrategien auf der einen und unterschiedlichen Utopien einer sozialen Theorie und Praxis des Designs auf der anderen Seite. Ausgehend von der aktuellen Auseinandersetzung mit der aktiven Gestaltung einer „besseren“ Zukunft im und durch Design, soll der Beitrag aufzeigen, wie meine Forschungspartner*innen an der Gestaltungsfakultät „die Gestaltung von Zukunft“ in einzelnen Kursen und Studierendenprojekten konkret aushandeln und herstellen.

Aicher, Otl: Die Welt als Entwurf. Berlin 1991.

Borries von, Friedrich: Weltentwerfen. Eine politische Designtheorie. Berlin 2016.

Maldonado, Tomás: Umwelt und Revolte. Zur Dialektik des Entwerfens im Spätkapitalismus. Reinbek 1972.

Otto, Ton & Smith, Rachel Charlotte: Design Anthropology: A Distinct Style of Knowing. In: Gun, Wendy/Otto, Ton/Smith, Rachel Charlotte (ed.): Design Anthropology: Theory and Practice. London 2013, p. 1 –29.

Tschischold, Jan: Die neue Typografie. Ein Handbuch für zeitgemäss Schaffende. Berlin 1987 [1925].

 

Dr. Sarah May (Freiburg)

Hand Werk Digital. Zeit als Faktor handwerklichen Wissens und ­Wirtschaftens

„Schneller. Günstiger. Präziser.“ – Deuten Akteur*innen des holzverarbeitenden Handwerks die Effekte ihrer zunehmend digitalisierten Arbeit, so verwenden sie häufig den Komparativ. Sie vergleichen damit ihre gegenwärtigen Arbeitsbedingungen und -praxen mit einem „Vorher“, in dem sie Entwürfe mit dem Bleistift erarbeiteten und nicht mittels CAD-Programmen, in dem Maschinen nicht digital gesteuert, sondern von Hand geführt wurden.

Handwerk schließt digitales Arbeiten nicht aus. Handwerker*innen nutzen nicht nur digitale Produkte, sondern forcieren deren Entwicklung und arbeiten inner- und überbetrieblich an der Produktion von Digitalität. Dabei erweist sich Zeit als zentrales Movens. Gerade Schreiner*innen und Zimmerer*innen sparen durch computergestützte Planung und digital vernetzte Fertigung Zeit und Geld – sofern sie über passende Programme, Maschinen und spezifisches Wissen verfügen.

In Gesprächen verbinden die Akteur*innen Zeit einerseits mit Rentabilität und Beschleunigung, andererseits mit Ausbildung und Erfahrung. Damit benennen sie keine alternativen Deutungen, sondern ein Kontinuum in der Wahrnehmung von Zeit im sich digitalisierenden Handwerk: Die Aneignung von handwerklichem Können durch jahrelange Übung gilt den Akteur*innen als Voraussetzung für die Entwicklung und Anwendung digital gesteuerter Arbeitsprogramme und -abläufe, mit welchen sie zukunftsorientiert wirtschaften wollen.

Der Vortrag diskutiert die Abhängigkeit von Zeit, Wissen und Wirtschaftlichkeit im Handwerk auf empirischer Basis und beleuchtet diese Faktoren in ihrer wechselseitigen Dynamik, indem er die durch Digitalität ausgelösten Transformationen zentral setzt. Er fragt: Inwiefern verändern sich die Deutungen von Zeit und Wissen als ökonomische Faktoren des holzverarbeitenden Handwerks im Zuge seiner zunehmenden Digitalisierung? Der Vortrag argumentiert auf Grundlage von Interviews und Beobachtungen in Tischlereien, Zimmereien und diese fördernden Institutionen und zielt darauf, Vorarbeiten der Handwerksforschung und der kulturanthropologischen Erforschung der Digitalisierung von Arbeitskulturen in einer empirisch fundierten Analyse zusammenzuführen.

 

Dr. Stefanie Mallon (Göttingen)

Der letzte Schrei. Eine Studie zu innovativer und smarter Kleidung als ,Zukunft der Mode‘

„Mode“ kann als ein besonders anschauliches Beispiel für die zeitliche Ordnung kultureller Prozesse dienen. Denn Entwürfe und vestimentäre Praktiken aus der Kleidungsgeschichte markieren charakteristisch Zeitphasen oder ganze Epochen. Ihre distinktive Ästhetik strukturiert die Vorstellung von Menschen in der Zeit. Die in der Moderne und späten Moderne immer kürzer werdenden Zyklen, in denen Kleidungsstile und -moden Gültigkeit haben und als tragbar gelten, resultieren in den 2020er Jahren zu wöchentlich neuen Kollektionen in Fast-Fashion-Geschäften. Ästhetisch obsolete, „veraltete“ Entwürfe werden in großen Mengen ungetragen entsorgt. Der daraus resultierende Ressourcenverbrauch und das Thema „Nachhaltigkeit” beschäftigen Akteur*innen des Modesystems und Konsument*innen in der späten Moderne vermehrt.

In diesem Beitrag möchte ich ein Phänomen untersuchen, das sich als Lösung dieser Problematik und als „Zukunft der Mode” präsentiert. Als Neukonzeption des Modesystems will es das zeitliche Regime der traditionellen Mode des „letzten Schreis“ beenden. Diese Bewegung ist heterogen und vereint innovative und nachhaltige Materialien, Nutzung neuer Technologien wie 3D-Drucker zur Eigenproduktion und der Herstellung intelligenter Kleidungsstücke. Sie greift auch neuere philosophische Diskurse auf und versteht sich als posthumanistisch, was auch in ihren Entwürfen Ausdruck findet.

Im Rahmen einer Kombination von visueller Anthropologie und objektzentrierter Feldforschung (mit einem innovativen und smarten Kleidungsobjekt) soll in diesem Beitrag der Frage nachgegangen werden, inwiefern eine solche Innovationsfähigkeit von Kleidung über eine engere zeitlich begrenzte Nutzbarkeitsphase und soziokulturelle Verortung hinaus möglich ist – und inwiefern eine „Zukunft der Mode“ auf diese Weise gesichert werden kann. Die Hypothese ist, dass dieses Phänomen die zeitliche Strukturierung der Kleidungspraktik nicht auflöst, sondern sich wiederum in die von der Mode ausgehende zeitlich-visuelle Ordnung und den Rhythmus sich-wandelnder ästhetischer Gültigkeit eingliedert.

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