Forschungsdatenmanagement
Unmittelbar und nachhaltig. Möglichkeiten und Grenzen offener digitaler Ressourcen in der Europäischen Ethnologie
Konzeption und Leitung: Dr. Sabine Imeri (Berlin), Marc Lange M.A. (Berlin), Matthias Harbeck M.A. (Berlin)
Die zeitlich und räumlich potentiell unbegrenzte Verfügbarkeit digitaler Informationen, Daten oder Publikationen erfordert neue Antworten auf alte Fragen der Wissensorganisation. Insbesondere mit Blick auf Zugänglichkeit und langfristige Speicherung bestehen gerade in den Geistes- und Sozialwissenschaften oft Hindernisse: Publikationen liegen nicht digital vor oder sind hinter Bezahlschranken verborgen, digitale Forschungsmaterialien werden kaum dauerhaft archiviert, sind unzugänglich oder gehen verloren. Zudem sind Forschende auch in der Europäischen Ethnologie skeptisch gegenüber den Konsequenzen der Digitalisierung für die Forschungspraxis und erproben eher zögerlich Neues – auch wenn der praktische Nutzen frei zugänglicher, digitaler Ressourcen z.B. unter den derzeit pandemiebedingten Zugangsbeschränkungen auf der Hand liegt. Die Zurückhaltung mag auch mit der allgegenwärtigen Forderung nach Offenheit und Transparenz zusammenhängen, die sich auch auf die Öffnung des gesamten Wissensproduktionsprozesses bezieht. Nationale wie internationale Forschungsförderorganisationen setzen auf die freie Verfügbarkeit von Forschung und machen dies zunehmend auch zur Bedingung für Förderzusagen – hinsichtlich der Forschungsdaten (FAIR Data) wie der Publikationen (Open Access). Das gilt ebenso für die Retrodigitalisierung analoger Materialien, die in den letzten Jahren in großem Maßstab gefördert worden ist. Insgesamt soll der Ressourceneinsatz nachhaltig sein und die effiziente Nutzung digitaler Materialien gewährleisten. Gerade in Förderkontexten wird ‚Offenheit‘ häufig als schlichte Verbesserung verstanden, während Vorbehalte gegen eine umfassende Bereitstellung von Daten, Materialien und Publikationen sowie Risiken und ethische Fragen eher selten thematisiert werden.
So ambivalent also die Haltungen zu diesen Forderungen sein mögen: Die in den letzten Jahren begonnenen Diskussionen sind weiter dringlich, gerade angesichts wiederkehrend diskutierter Aspekte wie Repräsentation, Forschungsethik, Öffentlichkeit und Relevanz sowie der Politisierung und Zukunftsfähigkeit des Faches. Sie ist dringlich auch, weil es darum geht, als Fach sprechfähig zu sein, Prozesse der Entwicklung von Forschungsinfrastrukturen mit gestalten zu können anstatt von Forderungen und Entscheidungen anderer Akteure getrieben zu werden.
Der Fachinformationsdienst Sozial- und Kulturanthropologie (FID SKA) möchte in diesem Panel allgemeine Entwicklungen mit fachspezifischem Fokus thematisieren und diskutieren. Datenarchivierung, Open Access und Retrodigitalisierung sind dabei verschiedene Aspekte, zu denen das Fach Strategien im Umgang finden sollte. Gleichzeitig ist der FID SKA als unterstützender Partner bei der Etablierung von Forschungsinfrastrukturen auf Austausch angewiesen, um Angebote und Services mit adäquater Perspektive weiterentwickeln zu können.
Dr. Sabine Imeri
Forschungsdatenarchiv. Ressource und disziplinäres Gedächtnis
Am deutlichsten hat die Europäische Ethnologie wohl zum Umgang mit Forschungsdaten eine erste strategische Position formuliert, die auf die epistemologischen Grundlagen und die konkrete Forschungspraxis Bezug nimmt. Ausgehend von der Annahme, dass mit der dauerhaften Archivierung von Forschungsmaterialien auch eine neue Variante des fachlichen Archivs und des disziplinären Gedächtnisses entsteht, stellen sich vor allem mit Blick auf den Ressourceneinsatz (Energie, Zeit, Geld) weitere Fragen: Welche Materialien eignen sich für die dauerhafte Archivierung? Benötigt das Fach eine Strategie der Auswahl und Bewertung? Und welche Nutzungsszenarien sind denkbar?
Marc Lange M.A. (Referent Open Access, UB HUB)
Open Access in den ethnologischen Fächern: Umsetzung, Relevanz, Chancen
Die Forderung und Förderung des Publizierens im Open-Access-Modell und der Wandel des traditionellen wissenschaftlichen Publikationssystems betrifft alle Disziplinen. Zwar werden auch in den ethnologischen Fächern im deutschsprachigen Raum frei zugängliche Publikationen veröffentlicht, ein breiter Einzug des Prinzips sowie eine fachliche Auseinandersetzung mit Open Access hat jedoch bisher nicht stattgefunden. Angesichts der skizzierten Diskussionen besteht hier Nachholbedarf. Der Vortrag will Open Access und die Umsetzungswege allgemein und fachspezifisch veranschaulichen, die Relevanz im und für das Fach aufzeigen sowie Chancen und Herausforderungen darstellen und diskutieren.
Matthias Harbeck M.A. (Fachreferent/ Leitung FID SKA, HUB)
Retrodigitalisierung ethnologischer Printliteratur: Umgang mit bedenklichem Zeitgeist?
Der FID SKA digitalisiert seit 2013 ethnologische Zeitschriften und beginnt verstärkt mit der Digitalisierung von Monografien. Angeboten werden die Digitalisate im freien Zugriff auf EVIFA (digi.evifa.de). Vielfach betrifft dies Materialien, die im 19. oder frühen 20. Jahrhundert publiziert wurden und entsprechend von zeitgenössischen Diskursen geprägt sind. Welche Materialien sind für die ethnologische Forschung besonders interessant, wo entstehen aber auch ethische Probleme des freien Zugangs und der Vervielfältigungsmöglichkeiten? Welche Einschränkungen oder Rahmungen wünscht sich die Fachgemeinschaft? Ist Zugang wichtiger als ethische Bedenken?