Workshop 2

Unzeitgemäß!?.Immaterielles Kulturerbe und regionale Kultur

Konzeption und Leitung: Dr. Helmut Groschwitz (München)

Akteur*innen regional aktiver, vermittelnder Kulturinstitutionen (z. B. volkskundliche Landesstellen, Heimatverbände, Regionalmuseen) und außeruniversitärer Forschungseinrichtungen nehmen als „Cultural Broker“ eine wichtige Rolle der Wissensvermittlung, Forschung und Übersetzung zwischen Universitäten, Politik, Medien und Zivilgesellschaft wahr. Sie stellen relevante Forschungsergebnisse zur Verfügung, bieten fundierte Beratungen an, können auf spezifische Wissensbestände zurückgreifen und ermöglichen längerfristige Kontakte und Forschungen; dies betrifft speziell auch partizipative Formen, etwa der Citizen Science. In diesem komplexen Feld werden teilweise und von verschiedener Seite her Handeln und Begrifflichkeiten als „unzeitgemäß“ wahrgenommen.

So sehen sich z. B. die Akteur*innen der Institutionen auf der einen Seite mit einem Vokabular bei Politiker*innen, Medien und Zivilgesellschaft konfrontiert, das teils problematisiert („Brauchtum“, „ursprünglich“ etc.), teils hinterfragt und neu verhandelt werden muss („Tradition“, „Heimat“ etc.), um überholte ideologische Implikationen zur Sprache zu bringen und die Inhalte zukunftsfähig zu machen. Dies ist umso notwendiger, als die populistische Vereinnahmung und Re-Ideologisierung mancher Begriffe deutlich spürbar sind. Auf der anderen Seite werden teilweise von universitären Akteur*innen die Aktivitäten der regionalen Kulturinstitutionen als unzeitgemäß und irrelevant betrachtet, eine Bewertung, die sich auch auf zivilgesellschaftliche Akteur*innen und Veranstaltungen (Vereine, Bräuche, Stadtfeste etc.) bezieht. Diese geraten trotz hoher Popularität und gesellschaftlicher Relevanz als Forschungsgegenstand aus dem Blick, die Bedürfnisse von Museen und volkskundlichen Institutionen werden durch aktuelle Curricula kaum mehr berücksichtigt und der akademische Diskurs entfernt sich teils weit von den Menschen vor Ort. Der teilweise pauschal abgelehnte Begriff „Volkskunde“ ist in diesem Zusammenhang für die Institutionen regionaler Kulturarbeit für eine Erkennbarkeit essentiell und qualifiziert sie vor Ort als Ansprechpartner*innen für gesellschaftliche Fragen.

Viele Aufgaben und Themen lassen sich als eine Vermittlung von Vergangenheit und Zukunft in der Gegenwart kennzeichnen, die mit dem immateriellen Kulturerbe ein zusätzliches Moment bekommt. Verstärkt seit dem Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum UNESCO-Übereinkommen können mit neuen Begrifflichkeiten und Perspektivierungen bewährte Forschungstraditionen und Analysezugänge aktualisiert werden, darunter Brauch- und Ritualforschung, Ergologie oder populäre Musik- und Tanzforschung. Hierbei wird dezidiert auf Aspekte von Migration, Konzepte von Urbanität und Ländlichkeit, oder zeitgemäße Formen musealer Präsentation eingegangen. Die Forschungserfahrungen und Begrifflichkeiten bieten die Möglichkeit, gegenüber Politik und Zivilgesellschaft einen vermittelnden Diskursraum zu eröffnen, in dem sich aktuelle Fragen nach kultureller Vielfalt und Teilhabe, gesellschaftlichem Zusammenhalt und Nachhaltigkeit verhandeln lassen. Hier zeigen sich die volkskundlichen Wissensbestände und Institutionen als sehr zeitgemäß!

Das hybride Panel umfasst drei Impulsreferate und ein Roundtable-Gespräch:

 

Dr. Helmut Groschwitz (München)

Zeitgemäßes und Zukunftsaspekte in immateriellem Kulturerbe

Fragen nach Erhaltung (safeguarding), Nachhaltigkeit und Diversität sind zentrale Aspekte des immateriellen Kulturerbes. Die Performanzen selbst verbinden Vergangenheit und Zukunft, müssen dazu aber stets in der Gegenwart verhandelt werden. Zwischen epistemischen und kulturpolitischen Zugängen ermöglicht das Kulturerbe einen Diskursraum, den es partizipativ zu gestalten gilt.

 

Dr. Dagmar Hänel (Bonn)

Perspektive Zukunft – Logiken und Ansprüche von Trägergruppen, Politik und Wissenschaft im Diskurs um immaterielles Kulturerbe

Im Prozess der Bewerbung, Begutachtung und Auszeichnung von immateriellem Kulturerbe werden unterschiedliche Logiken heterogener Akteursgruppen verhandelt. Sichtbar wird, wie historische Kulturformen mit neuen Bedeutungen aufgeladen und als Argumente zur Herstellung und Vermittlung aktueller und zukünftiger Identitätskonstruktionen genutzt werden.

 

Florian Schwemin M.A. (Regensburg)

Neuverhandlungen von volkskundlichem Wissen, das Beispiel des „Heimatmobil“

Die Kultur- und Heimatpflege des Bezirks Oberpfalz hat einen neuen, dezentralen und partizipativen Weg der Vermittlung entwickelt. Volkskundliches Wissen wird hier nicht mit aufklärerischem Impetus aufbereitet, sondern als Diskussionsangebot und Identitätselement präsentiert. Erwartungshaltungen werden bewusst gebrochen und die Beziehung von Tradition, Gegenwart und Zukunft zur Debatte gestellt.

 

Heute Gestern mit Morgen vermitteln (Roundtable und Publikumsdiskussion)

Prof. Dr. Christine Aka (Cloppenburg)
Dr. Tobias Appl (Regensburg)
Dr. Inge Gotzmann (Bonn)
Dr. Annette Schneider-Reinhardt (Bonn)

Moderation: Dr. Dagmar Hänel (Bonn)

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