„Ungehaltene Reden“ über Struktur, Gelegenheit und Risiko: Ein Film zur zeitlich-vergeschlechtlichen (Un)Ordnung akademischer Karrieren
Konzeption und Leitung: Sandra Eckardt M. A. (Göttingen), PD Dr. Victoria Hegner (Göttingen)
Im Feld der Wissenschaft ist die Kategorie „Zeit“ vielfältig gerahmt. Die Dauer eines Studiums und der Qualifikationsphasen sind durch (gesetzliche) Richtlinien festgelegt und Formen der Anerkennung wissenschaftlich-biografischer Leistungen eng an das „akademische Alter“ gebunden, das klare Berechnungsgrundlagen hat. Bereits seit Ende der 1970er Jahre haben Vertreter*innen der Geschlechterforschung und – übergreifend – der feministischen Bewegung darauf aufmerksam gemacht, wie sehr diese Art des wissenschaftlichen Zeitregimes und dabei der Bemessung des „Erfolgs“ entlang männlicher* (akademischer) Lebensläufe geprägt wurden. Verschiedene Instrumente der Intervention – wie beispielsweise die institutionalisierte „Gleichstellung“ – sind dabei entwickelt worden. Die anerkannten zeitlichen Ordnungen akademischer Lebenswege haben sich hierdurch aufgefächert, doch sie bleiben zutiefst gegendert.
Der Film „Ungehaltene Reden“ – in Zusammenarbeit der Göttinger Kulturanthropologie und der universitären Gleichstellung als wissenschaftliches Projekt an der Schnittstelle zur Öffentlichkeit entstanden und durch das bundesweite Professorinnenprogramm gefördert – nimmt hier seinen Ausgangspunkt.
Entlang von neun biografischen Portraits von Wissenschaftler*innen unterschiedlicher Fachdisziplinen geht er der Frage nach, wie genau sich Lebensläufe diversifiziert haben. Inwiefern ist der „wissenschaftliche Aufstieg“ zeitlich zwar nach wie vor entlang etablierter Strukturen stark normiert, wo aber spielen auch immer wieder „günstige Gelegenheiten“ – die als „glückliche Momente“ und als Möglichkeiten, die „weder nur als das Ergreifen des Kairos (der günstige Augenblick) noch als pure Strategie und Planung“ (Keller-Drescher 2017, 9) thematisiert werden, eine Rolle? Kategorien von Zeit sind zugleich von Unbestimmtheit geprägt. Letztere benötigt Erfahrungswissen, um (emotionale) Handlungsspielräume zwischen Warten auf eine akademische Position und das damit verbundene Risiko abschätzen zu können. Wissensanthropologisch perspektiviert bietet der Film hier Einblicke in fächerkulturelle Spezifika von tacit knowledge und möchte eine Reflexionsfläche für die komplexen Facetten zeitlicher Ordnungen akademischer Karrieren bieten.
Der Film (42 min) wird im Rahmen einer Roundtable-Diskussion mit den beiden beteiligten Göttinger Kulturanthropologinnen gezeigt.