Gefährliche Unbestimmtheiten bannen
Panelleitung: Prof. Dr. Friederike Faust (Göttingen) / Manuel Bolz M.A. (Göttingen)
Praktiken des Antizipierens, Spekulierens und Prognostizierens sind daran beteiligt, Gefahren und (Un-)Sicherheiten zu konstruieren und bestimm- und kontrollierbar zu machen. Die beteiligten städtischen, staatlichen, privatwirtschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Akteur:innen folgen Logiken, die den Zufall und die inhärente Unvorhersehbarkeit als störend verstehen. Potentielle Gefahren gilt es auszuloten und Vermeidungsstrategien zu entwickeln. Die Beiträge untersuchen die Prozesse und Politiken empirisch, die vage Gefahren wie Kriegsaltlasten, Straftaten, Kriegsmanöver oder Waffengewalt in den Bereich des Kontrollierbaren rücken. Sie fragen nach den zwischenmenschlichen, technischen, risikomathematischen und rechtlichen Strategien des Bestimmbar-Machens riskanter Zufälle und gewaltvoller Effekte. Wie können diese feldspezifischen Dynamiken ethnografisch greif- und verstehbar werden?
Prof. Dr. Regina F. Bendix (Göttingen)
Zufallsfunde: Kriegsaltlasten in den Griff bekommen
Blindgänger sind meist Zufallsfunde. Für Kriege erfunden zeigen sie sich Jahrzehnte später wieder und führen zu Alltagsstillstand, Evakuierung und hohen Kosten. Die Konzepte Vulnerabilität, Sicherheit und Erfahrung werden genutzt, um die Praktiken und Institutionen zu analysieren, mit welchen Blindgänger ‚vorhersehbar‘ und ‚lenkbar‘ werden sollen. Aufbauend auf Feldforschung, Interviews sowie Zeitungsberichten werden die stete Neuerfindung von Entschärfungspraktiken nachgezeichnet und auf die gesellschaftlichen Potentiale solcher Gefährdungen verwiesen, die im Interesse der reibungslosen Kontrolle ungenutzt bleiben.
Dr. Stephanie Schmidt (Hamburg)
Zufall kalkulieren. Praktiken militärischer Bestimmbar-Machung zukünftiger Kriegsführung
Der Krieg gilt Militärs als ein Gebiet des Zufalls und des Ungewissen. Daran ändern auch fortgeschrittene Mittel militärischer Aufklärung durch bspw. Überwachungstechnologien wie Drohnen, Informationsgewinnung durch
Satelliten oder nachrichtendienstliche Tätigkeiten im Digitalen nichts. Durch Zukunftsanalysen, Simulationen und Wargames versuchen Militärs, zukünftig Zufälliges zu kalkulieren und mögliche Disruptionen zu antizipieren, um dem Zufall im Gefecht wirkungsvoll zu begegnen. Der Beitrag widmet sich militärischen Annäherungen an ein Kalkül des Zufalls und den damit verbundenen Weltdeutungen im militärisch-industriellen Komplex und erklärt auch, was Science Fiction damit zu tun hat.
Manuel Bolz M.A. (Göttingen)
Gewalthandeln mit Recht begegnen. Verordnetes Vergnügen in Hamburg St. Pauli.
Seit 2007 existiert im Bereich der Reeperbahn eine Waffenverbotszone, seit 2009 ein Glasflaschenverbot an Nachtstunden am Wochenende Rechtsprechungen, die Rauschverhalten regulieren und die Sicherheit von Tourist:innen, Betreibende und Anwohnenden gewährleisten sollen. Ausgenommen sind z.B. die Polizei.
Ausgehend von historischen Quellen, Interviews und Feldforschung werden lokale Strategien analysiert, Vergnügen mittels Gesetzgebung zu kontrollieren. Auf Basis vergangener Vorkommnisse werden Regelwerke formuliert, um ähnlich gelagerte Vorfälle zu greifen, auch wenn diese nicht vorhersehbar sind. Recht dient dazu, zukünftiges Gewalthandeln als kriminalpolitisch bestimm- und bearbeitbar zu imaginieren.
Prof. Dr. Friederike Faust (Göttingen)
Risiko bestimmbar machen. Prognostik im Strafvollzug
Primäres Ziel der Freiheitsstrafe ist die Befähigung straffälliger Menschen zu einem Leben in sozialer Verantwortung (Resozialisierung). Der den Strafvollzug kennzeichnende Besserungsgedanke hat verschiedene Praktiken auf den Plan gerufen, die im Zuge der Therapeutisierung des Gefängnisses als Behandlung entworfen werden und auf ausgefeilten Diagnose- und Prognose-Instrumenten beruhen. Dieser Beitrag beleuchtet das unmittelbar miteinander verschränkte Diagnostizieren, Prognostizieren und Behandeln als auf multiple mögliche Zukünfte gerichtete und vergeschlechtlichte Praktiken, mit denen potentielle Risiken zunächst bestimm- und schließlich minimierbar gemacht werden sollen.
Leonie Müller M.A. (Saarbrücken)
(Un-)Sicherheiten inszenieren? Prognose und Prävention von Gefahren in Waffenverbotszonen
Die Waffenverbotszone wird als ein Ort untersucht, an dem rechtliche und räumliche Interventionen dazu dienen, potenzielle Gefahr sichtbar und bestimmbar zu machen. Laut Polizeipräsidium Frankfurt sowie politischer und medialer Berichterstattungen ist die Verbotszone im Frankfurter Bahnhofsviertel ein Erfolg. In der Umsetzung scheint sie selektiv: Maßnahmen und Gefährdungseinschätzungen beruhen oft auf subjektiven Entscheidungen. Zygmunt Bauman (2006) beschreibt, wie Sicherheitsstrategien Ängste verstärken, in-dem sie Symptome statt Ursachen adressieren. Überwachung und Kontrollzonen fördern den Rückzug ins Private und schwächen die Qualität des Quartiers, verstärken die Wahrnehmung von Gefahren und fragmentieren die Stadtgesellschaft weiter.