Panel_F

Was einem alles im Ruhestand so zu- und einfällt: Unwägbarkeiten und Überraschungen des Alter(n)s in narrativer Perspektive
Leitung: Prof. Dr. Irene Götz (München)

Ist Leben ohnehin nach Butler eine prekäre Angelegenheit voller Unwägbarkeiten, so verbindet sich mit dem letzten Lebensdrittel zunehmend Kontingenz. Dies heißt, dass die erwartbaren Unwägbarkeiten Krankheit, Verluste oder Armut hier besondere Evidenz erhalten. In anderen Fällen lässt sich der „Ruhestand“ als Raum für überraschende, kreative Erlebnisse gestalten: Hier also das Unerwartete, das als Potenzial für Entwicklung „zufällt“ oder sogar z.B. durch Reisen aktiv geplant wird; dort Emotionen der Angst vor Kontrollverlust. Wie diese Szenarien des Unwägbaren erfahren werden, hat mit biografischen Dispositionen zu tun, mit Gender, Klasse, Herkunft, wobei kritische Ereignisse (z.B. Renteneintritt, Erkrankung) Kontingenz auslösen.

Das Panel versammelt Beiträge, die sich aus Perspektiven der Narrationsforschung mit Akteur:innen und deren Umgang mit dem „Überraschenden“ im Alter, das einem „zustößt“, das bekämpft oder, je nachdem begrüßt wird, auseinandersetzen. Die Beiträge navigieren die alltäglichen Erfahrungswelten in ihren Ambivalenzen, beachten dabei die Stellung der Akteur:innen im sozialen Raum und analysieren die je unterschiedlichen Spielräume und Haltungen bezüglich Kontingenz. Das Verhältnis von Agency und Struktur in der Bearbeitung von Zugefallenem und Überraschendem wird hier genauso berücksichtigt wie die Wirkmächtigkeit von Altersbildern.

 

Irene Götz (München) mit Dr. Petra Schweiger (München)
„Nichts dem Zufall überlassen“: Wie Frauen mit körperlicher Einschränkung Brüche in ihren Alltagsroutinen erleben und bearbeiten

Die vorgestellten Interviews entstammen dem DFG-Projekt „Prekärer Ruhestand“. Sie werden auf die Fragestellung des Panels hin neu durchgeforstet. So werden Strategien und Praktiken analysiert, die angewendet werden, um Imponderabilien (Wohnungswechsel, körperliche Gebrechen, plötzliches Ableben) abzuwenden oder zu bearbeiten, bzw. um den Zufall als Abwechslung oder Bewältigungsstrategie des „Improvisierens“ zu nutzen.

 

Dr. Valerie Keller (Zürich/CH)
Zwischen Loslösung und Verankerung. Praktiken der Selbstaktualisierung im Leben mit Demenz

Im Leben mit Demenz müssen Pläne über Bord geworfen werden, Erinnerungen verblassen und Blackouts verunsichern zutiefst. So erarbeiten Menschen mit Demenz neue Selbstkonzepte und Orientierungen, wobei einerseits Sicherheit gesucht, andererseits die Aufgabe von Regeln als befreiendes Moment verstanden wird. Anhand von Erzählungen Betroffener arbeite ich heraus, welche Bedeutung spezifische Selbst-Konzepte und Praktiken im Spannungsfeld zwischen Verankerung und Loslösung für Menschen mit Demenz einnehmen können. Quellengrundlage sind biografische Interviews aus dem Dissertations-Projekt „Selbstsorge bei Demenz“, die in Bezug auf die Fragestellung des Panels neu ausgewertet werden.

 

Prof. Dr. Stefanie Richter (Regensburg)
Das Phänomen „Zufall“ an Übergängen und im Lebensalltag im Heim

Welche Rolle spielen der „Zufall“ und nicht transparente Bedingungen für Übergangsprozesse in ein Pflegeheim sowie den dortigen Lebensalltag? Welche methodischen Herausforderungen gibt es, das „Zufällige“, „Intransparente“ an Heimübergängen sichtbar zu machen? Für den Vortrag analysiert die Autorin Daten aus narrativen Interviews und Beobachtungsprotokollen ihrer ethnographischen Studie zum Übergang in ein und Leben im Heim. Das Ziel ist, das sich in den Daten dokumentierende Phänomen des „Zufalls“ zu beschreiben und Fragen der Rekonstruierbarkeit zu reflektieren.

 

Dr. Eva-Maria Trinkaus (Klagenfurt/AUT)
Fiktionale Repräsentationen der „überraschenden Alten“ in Lore Segals Kurzgeschichten

Chivers (2003) zufolge lassen sich fiktionale Erzählungen über Frauenfreundschaften im Alter als Teil “konstruktiver Narrative des Alterns” in einer “imaginären Welt” betrachten. Die Repräsentation solcher Freundschaften und eine Diversität von Altersbildern sind wesentliche Aspekte von Lore Segals Kurzgeschichtenzyklus “Ladies Lunch” (2023), der überraschende Aspekte des Alters aufzeigt. In meiner narrativen Analyse von Segals Texten gehe ich der Frage nach, wie Geschichten über das Alter Mechanismen des Widerstandes aufzeigen und die weiblichen Charaktere sich in ihrer Akzeptanz des fortgeschrittenen Alters mit Ironie herausfordernden Situationen widmen. Sie brechen mit Altersstereotypen, in dem sie zu „überraschenden Alten“ (vgl. Herwig 2014) werden.

 

PD Dr. Malte Völk (Zürich/CH)
Den Augenblick erzählerisch beim Schopf ergreifen: Aneignung des Zufälligen in autobiografischen Selbstzeugnissen

In autobiografischen Altersreflexionen wird oft thematisiert, wie stark das eigene Leben von kontingenten Ereignissen geprägt war und ist. Der Beitrag möchte zum einen narratologische Strategien dieser Lebensphase mit Blick auf den Zufall analysieren – insbesondere im Zusammenhang mit agency –, zum anderen nach der soziokulturellen Verortung der Autor:innen solcher Ego-Dokumente fragen. Quellen: Tagebücher aus Archiven.

Christian-Albrechts-Universität Kiel

TU Dortmund, Emil-Figge-Straße 50 (Foto: Roland Baege)
TU Dortmund, Emil-Figge-Straße 50 (Foto: Roland Baege)

Veranstaltungsgebäude 2

Dietrich-Keuning-Haus, Dortmund
Dietrich-Keuning-Haus, Dortmund