Anika Musial (Freiburg)
Suchen oder Warten? Frauen beim Dating zwischen Schicksal und Eigeninitiative
„Überlassen Sie nichts dem Zufall“ ist einer der sieben Dating-Tipps, der eine Webseite gibt, die sich als „Ihr Ratgeber für die Liebe“ bezeichnet (https://lemonswan.de/ratgeber/partnersuche/partnerfinden, 25.02.2025.). Sie richtet sich explizit an sich als weiblich identifizierende Personen, die eine heteronormative Beziehung suchen. Webseiten, Podcasts und Coaches, die sich um Hilfeleistung beim Dating bemühen, sind allgegenwärtig. Ihr enormes Angebot lässt auf eine ebenso große Nachfrage schließen und zeugt von der anhaltenden Aktualität des Themas.
Der zitierte Ratschlag deutet auf einen Konsens hin, dass die Partnerwahl etwas Zufälliges oder gar Schicksalhaftes hat und sich so der Entscheidungsmacht der Akteurinnen entzieht. Ein Zustand, der mit der Handlungsaufforderung: „Überlassen Sie nichts dem Zufall“ Teil einer Aushandlung wird.
In dem Spannungsfeld zwischen dem Appell zur Eigeninitiative beim Dating und dem allgegenwärtigen Schicksalscharakter verorten sich die Akteurinnen. Der Vortrag fokussiert die Ambivalenz, mit der sich die als weiblich definierten Personen auf der Suche nach einer heteronormativen Beziehung konfrontiert sehen. Erkenntnisleitende Fragen sind hierbei: Inwiefern arrangieren sich die Akteurinnen mit diesen zwei gegensätzlichen Modellen, die an sie implizit, sowie auch explizit herangetragen werden? Welche Aushandlungen finden statt und wird die eigene Sozialisierung der Liebe – als romantisches Versprechen durch schicksalhafte Begegnung – überhaupt problematisiert? Und welche Bedeutung hat für die Frauen der doch recht konträre Appell: „Überlassen Sie nichts dem Zufall!“?
Karoline Köster (München)
Den Tod nicht dem Zufall überlassen? Über Planungen des Ungewissen
„Überlassen Sie nichts dem Zufall“ (Brauckmann Bestattungen o.J.), motiviert das Oberhausener Bestattungsunternehmen Brauckmann ein gängiges Paradigma aktueller Zeit im Kontext des Todes. Unter neoliberalen Vorzeichen wird der Umgang mit dem eigenen Tod immer mehr zum Ergebnis eines individuellen Vorgehens, dessen Erfolg an persönlichem Verhalten gemessen wird. Ebenso gilt es, in vorbereitenden Maßnahmen mit dem normierten Ziel des guten Sterbens Verantwortung für das eigene Lebensende zu übernehmen (vgl. Peuten 2019: 273). Trotz aller zugeschriebenen, mit Anforderungen und Normen verbundenen Eigenverantwortlichkeit macht der Tod unvermeidlich auf die Grenzen des eigenen Handelns aufmerksam, etwaige Erfolge des selbstverantwortlichen Tuns lassen sich erst ex post bewerten. Wenngleich das Eintreten des Todes definitiv und unvermeidbar ist, so ist es in seinem Zeitpunkt stets das „Nicht-Unmögliche“ (Vogt 2011: 65) und so in vielen Fällen ein „nicht planbares Ereignis“ (Pethes 2009: 385), das vom „Regelhaften oder Normalen abfällt“ (ebd.).
Obschon in den letzten Jahren eine auch von Optimierungsimperativen geleitete Hinwendung zur eigenen Sterblichkeit erfolgt ist, so gilt die Beschäftigung mit dem Tod und seinem häufig unklaren Zeitpunkt vielfach als nicht angenehm. Nicht zuletzt deshalb ist sie aus ethnografischer Perspektive wenig erforscht. Der Vortrag soll daher – neoliberale Individualisierungstendenzen kritisch hinterfragend – am Punkt zwischen Planung und Ungewissheit ansetzen und vor dem Hintergrund dieser zunächst widersprüchlichen Rahmenbedingungen individuelle Umgangsformen beleuchten: Wie wirken die normierten Anforderungen bei zeitgleicher Ungewissheit des Todes auf die Akteur*innen? Welche Handlungsräume sehen und bespielen sie aus welchen Gründen und Motivationen – und auf welche Weise konstituieren sie vor diesem Hintergrund ihre agency?
Katharina Fondis (Marburg)
Liminoide Dimensionen in Migration(-serzählungen) und Huizingas „Homo ludens“
Nach einer intensiven Auseinandersetzung mit Johan Huizingas kulturphilosophisch-anthropologischen Essay „Homo Ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel“ im Rahmen einer großen Hausarbeit zum Thema Pen&Paper-Rollenspiel, möchte ich eine Brücke zu meinem Masterarbeitsthema „Liminale und liminoide Dimensionen in Migrationserzählungen aus Neuseeland“ schlagen. Beiden Untersuchungen liegt qualitatives Interviewmaterial zugrunde, sodass ich mich über die Empirie beiden theoretischen Konzepten nähern kann. Mich interessiert die Frage, welche Überschneidungen Arnold van Genneps Ritualtheorie beziehungsweise Victor Turners aufbauende Fokussierung auf die Liminalität bzw. Liminoidität mit Huizingas Idee vom Spielcharakter der Kultur hat.
Huizinga sieht „die Arena, den Spieltisch, den Zauberkreis, den Tempel, die Bühne und den Gerichtshof in ihrer Form und der Funktion nach als Spielplätze“ (Huizinga 2011, [1933]: 18f) und damit als einen Raum, der „geweihter Boden [ist], abgesondertes, umzäuntes, geheiligtes Gebiet, in dem besondere Regeln gelten. Sie sind zeitweilige Welten innerhalb der gewöhnlichen Welt“ (Huizinga 2011: 18f). Im Vergleich dazu weist van Gennep bei seiner Untersuchung zu den „rites de marge“ (séparation, marge, agrégation) auf eine ‚Schwelle‘ zwischen der ‚Loslösung‘ vom Bekannten und ‚Wiedereingliederung‘ in einen relativ stabilen gesellschaftlichen Zustand hin, welche durch Strukturlosigkeit und Uneindeutigkeit und einem Schweben „zwischen den Welten charakterisiert wird“ (Nimführ 2020: 272). Weitere Ähnlichkeiten finden sich auch zwischen Turners Beschreibung der Schwellenwesen, der fortwirkenden Communitas als eine „Gemeinschaft Gleicher“ und ein „Zusammengehörigkeitsmodell parallel zum Modell der Gesellschaft“ (Nimführ 2020: 274) und der Nachwirkung der Spielgemeinschaft, wie Huizinga sie beschreibt: „Die Spielgemeinschaft hat allgemein die Neigung, eine dauernde zu werden, auch nachdem das Spiel abgelaufen ist. Das Gefühl aber, sich gemeinsam in einer Ausnahmestellung zu befinden, zusammen sich von den anderen abzusondern und sich den allgemeinen Normen zu entziehen, behält seinen Zauber über die Dauer des einzelnen Spiels hinaus“ (Huizinga 2011: 21).
Das hauptsächliche Erkenntnisinteresse dieses Vortrags gilt dem schwebenden, unbestimmten (Schwellen-)Raum, der sowohl bei Migrationserzählungen als auch beim Spiel durch liminale und liminoide Erfahrungen entsteht und gleichzeitig sowohl Potential für Kreativität und Entwicklung, aber eben auch das Scheitern, bereit hält.
Vera Linzbach (Wien/AUT)
Systemische Beratungsmethoden als zufallsaffine Praktiken im ethnografischen Forschungsprozess
Ethnografisches Forschen ist von Überraschungen und Zufällen geprägt. Sowohl die Arbeit im Feld als auch die Datenanalyse und -interpretation sowie der Schreibprozess sind kontingente Prozesse (vgl. Breidenstein u.a. 2020). Es ist die Aufgabe der Forschenden mit diesen umzugehen und bestmöglich zu nutzen. Aus eigener Erfahrung wissen wir, dass dies nicht immer einfach ist. Wer hatte nicht schon einmal das Gefühl im eigenen Forschungsprozess festzustecken?
Probleme werden in der systemischen Beratung als Teil eines größeren Kontextes verstanden und mit dem/der Klient:in gemeinsam erkundet. Im Rahmen einer laufenden Studienarbeit untersuche ich, was passiert, wenn systemische, körperbetonte Beratungsmethoden als zufallsaffine Praktiken in den ethnografischen Analyse- und Schreibprozess integriert werden. Lassen sich Serendipity (vgl. Lindner 2012) und ‚Zufallsfunde‘ gezielt hervorrufen und epistemisch wirksam machen? Hierfür entwickle ich Methoden aus meiner systemischen Beratungsausbildung und Praxis weiter und wende sie auf im Forschungsprozess auftretende Probleme von ethnografisch arbeitenden Kolleg:innen in einer gemeinsamen Beratungssitzung an.
Die Forschungsarbeit ist als engaged anthropology (vgl. Low und Merry 2010) angelegt und bietet als interdisziplinäre Intervention zur Sichtbarmachung von epistemologischen Prozessen auch praktisch-transformative Wirkung für das Feld – also die forschenden Kolleg:innen selbst.
In meinem Vortrag stelle ich die entwickelten Methoden kurz vor und gehe speziell auf die beobachteten Erkenntnisse bezüglich Zufall, Überraschung und Kontingenz ein. Es besteht die Möglichkeit, die Methoden mit interessierten Kolleg:innen im Anschluss oder in Kongresspausen auszuprobieren.