Panel A

Lokale Aushandlungsstrategien ökologischer und sozialer Transformation: Stadtplanung – Kohleabbau – Atomkraft

Panelleitung: Dr. Karin Bürkert (Tübingen)

Nachhaltige ökologische und soziale Transformationen, die in Reaktion auf gesellschaftliche Herausforderungen und Krisen erfolgen, manifestieren sich in konkreten (Bau-)Vorhaben, die verschiedene Phasen der Aushandlung, Planung und Umsetzung durchlaufen. Gesellschaftliche Adaption findet so als längerfristiger, formalisierter und planbarer Umbau in Form von einzelnen Erweiterungs- und Rückbauprojekten statt.

Dabei sind etablierte Zeitregime, die lange in die Zukunft planen, mit kurzfristigen Handlungszwängen konfrontiert. Was passiert, wenn langfristige Planungen verändert werden und Aushandlungsstrategien überdacht und angepasst werden müssen, wenn einstudierte Routinen und Praktiken nicht mehr greifen?

Gesellschaftliche Transformationsvorhaben verändern und gestalten konkrete Orte und ziehen lokale Konsequenzen nach sich. Sie wirken dort in Konstellationen mit spezifischen Eigenlogiken, was zur Folge hat, dass sich große gesellschaftliche Herausforderungen und Debatten in lokale Auseinandersetzungen übersetzen. Nicht zuletzt durch das Zusammentreffen von Partikular- und Gemeinwohlinteressen erzählen Orte, an denen sich gesellschaftliche Transformationen manifestieren, auf unterschiedliche Weise von gesellschaftlichen Grundsatzfragen.

Das Panel zeigt an drei Beispielen wie mit unsicher gewordenen Langzeitplänen übergeordneter Transformationsstrategien umgegangen wird. Wie wirkt sich die Unwägbarkeit sozialer und ökologischer Transformation auf Alltag, Selbstverständnis und Zukunftserwartung aus?

 

Dr. Judith Schmidt (Bonn)

Leben und Planen mit dem Braunkohletagebau

Das Rheinische Braunkohlerevier steht in einer langen Tradition der Landschafts- und Lebenswelt-Veränderung zugunsten der Gewinnung von Braunkohle. Umsiedlungsprozesse finden hier seit den 1950er Jahren statt und sind damit in der Lebenswelt der dort lebenden Menschen präsent. Die letzten vom Braunkohletagebau betroffenen Dörfer müssen laut aktuellen Entscheidungen nicht rückgebaut werden. Der letzte vom Rückbau betroffene Weiler Lützerath wurde Anfang 2023 zum Schauplatz der Klimabewegung für den Kampf um international vereinbarte Klimaziele. Der Beitrag wird auf Basis einer seit 2019 durchgeführten Feldforschung der Frage nachgehen, wie sich die Menschen in der Region innerhalb unterschiedlichster Entscheidungsebenen und Vorhaben für die nun nicht mehr vom Braunkohlenbergbau beanspruchten Flächen positionieren und neue Zukunftsvorstellungen erproben.

 

Dr. Karin Bürkert (Tübingen)

Ausgestrahlt? Ein Dorf und sein Kernkraftwerk

Das Kernkraftwerk in Neckarwestheim gehörte zu den drei letzten aktiven in Deutschland. Die Abschaltung war nach der Katastrophe in Fukushima im Jahr 2011 von der Bundesregierung zunächst für Dezember 2022 festgelegt worden. Doch was ein Jahrzehnt lang als sicher galt, geriet durch die Energiekrise ins Wanken. Die Laufzeit wurde im September 2022 um vier Monate verlängert. Wie dieser kurzzeitige Ausstieg vom Ausstieg vor Ort verhandelt, empfunden und organisiert wurde, aber auch wie sich die Infrastruktur der Kernkraft in den Ort eingeschrieben hat und veralltäglicht wird, zeigt dieser Beitrag. Dabei wird auf Forschungsergebnisse aus einem Lehrforschungsprojekt mit Master-Studierenden der Tübinger EKW zurückgegriffen, das im Oktober 2022 begonnen hat.

 

Dr. Matthias Möller (Freiburg)

Freiburg-Dietenbach: das Wachstumsdilemma einer Schwarmstadt

Zwischen 2025 und 2040 soll am Freiburger Dietenbach neuer Wohnraum für ca. 16.000 Menschen entstehen. Geplant sind günstige Wohnungen in einem ökologischen, lebendigen und lebenswerten Stadtteil. Trotzdem war und ist das Vorhaben umstrittenen. Zwar stimmte bei einem Bürger:innenentscheid eine Mehrheit für die Stadtwerweiterung, doch wurden im Zuge des Votums auch die zunehmend schwierig umzusetzenden hohen sozialen und ökologischen Erwartungen an den neuen Stadtteil unterstrichen. So stellt die Transformation von Wald- und Ackerflächen in urbanen Stadtraum eine Bruchstelle dar, an der sich die Debatten um die Stadt von morgen in besonderer Art und Weise entzünden. Der Beitrag steht im Zusammenhang mit einem Master-Lehrforschungsprojekt am Freiburger Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie.

 

Sarah Wirschke (Freiburg)

Freiburg-Dietenbach: Das Wachstumsdilemma einer Schwarmstadt

Bis 2042 soll in Freiburg der neue Stadtteil Dietenbach mit Wohnraum für ca. 16.000 Menschen entstehen. Politische Vorgaben wie mindestens 50 % sozial geförderte Wohnungen und ein möglichst nachhaltiges Energiekonzept sollen dabei sozialen und ökologischen Herausforderungen gegensteuern. Doch die Transformation von Wald- und Ackerflächen in Wohnraum ist auch nach einem positiven Bürger:innenentscheid umstritten: Im Kontext von aktuellen ökologischen Diskursen wird Wachstum verstärkt in Frage gestellt. Der Beitrag nimmt in den Blick, wie konfligierende Zukunftsperspektiven im Spannungsverhältnis zwischen Wachstumsdruck und Umweltschutz lokal verhandelt werden und wie dabei Stadtplanung und Aktivist:innen in Beziehung zu ihrer räumlichen Umwelt treten. Grundlage des Beitrags sind ein Master-Lehrforschungsprojekt am Freiburger KAEE sowie ein laufendes Promotionsvorhaben.
[Update, 12.9.23]

 

Die Beiträge des Panels vermögen es, den Shift politisch und gesellschaftlich verhandelter Zukunftsperspektiven an konkreten Orten und mit der Wirkung auf alltägliche Lebenswelten zu lokalisieren und damit nachvollziehbar und greifbar zu machen.

Hierbei treten die Vortragenden in einen dynamischen Dialog: Anhand von konfligierenden zeitlichen, räumlichen und sozialen Aspekten stellen sie jeweils einen Schauplatz der Materialisierung gesellschaftlicher Transformation dialogisch vor.

 

Kommentar: Prof. Dr. Alexa Färber (Wien/AUT)

Prof. Dr. Alexa Färber wurde als Kommentatorin gewonnen, sodass anhand der drei Themenschwerpunkte sowohl ein Überblick präsentiert als auch ein Gespräch über Logiken der Planung, Praktiken der Zukunft und Konstellationen von Regionen in nachhaltiger Transformation initiiert werden kann.

 

TU Dortmund

TU Dortmund, Emil-Figge-Straße 50 (Foto: Roland Baege)
TU Dortmund, Emil-Figge-Straße 50 (Foto: Roland Baege)

keuning haus

Dietrich-Keuning-Haus, Dortmund
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