Unfreundliche “Überraschungen” oder alte Bekannte?
Die Kulturanthropologie im Rechtsruck
Leitung: Prof. Dr. Alexandra Schwell (Klagenfurt/AUT) für DGEKW-Kommission Globalisierung_Europäisierung: Ethnographien des Politischen
Beitragende: Prof. Dr. Jens Adam (Cottbus), Prof. Dr. Sophie Elpers (Amsterdam/NEL), Prof. Dr. Sabine Hess (Göttingen), Dr. Birgit Johler, (Graz/AUT), Prof. Dr. Gertraud Koch (Hamburg), Lara Hansen (Hamburg), Dženeta Hodžić (Frankfurt/M)
Leben wir bereits wieder in “rechten Zeiten” (Tudor & Ticktin 2021)? Rechtspopulismus und Rechtsextremismus bestimmen zunehmend den politischen und gesellschaftlichen Ton und die Agenda inner- und außerhalb Europas und schaffen ein “Mainstreaming” rechtsextremer Ideen, Sprache, Zeichen und Vorstellungen, die von Parteien der Mitte übernommen werden. Auf der einen Seite sehen wir eine Normalisierung und Integration in Alltagsdiskurse, die noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen wäre. Auf der anderen Seite nimmt rechtspopulistische und -extremistische Politik tiefgreifende Umwälzungen und Eingriffe in die politischen und Justizsysteme vor, es mehren sich Angriffe auf zivilgesellschaftliche Freiheiten und die Freiheit der Wissenschaft bis hin zur Infragestellung oder sogar Abschaffung ganzer Studienrichtungen, wie der Gender Studies.
Die Roundtable-Diskussion zielt darauf ab, die vielfältigen Unsicherheiten und “Überraschungen” zu beleuchten, mit denen Forschende und Wissenschaftler:innen in- und außerhalb der Hochschulen im Zuge des politischen Rechtsrucks in Europa und darüber hinaus konfrontiert sind. Die Unwägbarkeiten und Unsicherheiten, denen Wissenschaftler:innen in ihrem Arbeitsalltag und in ihrer Forschung ausgesetzt sind, kommen ebenso zur Sprache wie die Auswirkungen auf die Forschungsfelder sowie die Forschungspartner:innen selbst.
Welche Herausforderungen ergeben sich aus dem Erstarken rechtsextremer Bewegungen und Parteien, und wie kann die EKW/KA/EE darauf reagieren? Gerade die EKW/KA/EE ist als aus der Volkskunde hervorgegangene Disziplin historisch mit diesen Bewegungen verbunden; zugleich bezieht der Rechtspopulismus aus dieser gemeinsamen Tradition Begriffe und Paradigmen. Rührt womöglich ein Teil der Überraschung daher, dass diese, aus Sicht des Faches, simplen und überholten Argumente sich nichtsdestotrotz als erfolgreich erweisen?
Wie gehen wir mit Verunsicherungen und Überraschungen um, die zudem immer mehr vorhersehbar sind, wenn man Rechtsextremist:innen wie die AfD ernst und beim Worte nimmt? In Österreich zeigt sich bereits, wie unter dem Einfluss der FPÖ ideologische und finanzielle Prioritäten auf Volks- und Heimatkultur gesetzt werden, während andere kulturelle Ausdrucksformen marginalisiert werden. Auf nationaler Ebene scheint die politische Mitte zugunsten der FPÖ zu implodieren. Auch in anderen europäischen Ländern wie Polen, Ungarn, der Slowakei oder Italien wurden Kultur- und Erinnerungspolitik durch die Eingriffe rechtsnationaler Regierungen nachhaltig umgestaltet. Gleichzeitig haben diese Gesellschaften bereits umfangreiche Erfahrungen in der Entwicklung von Gegenstrategien gesammelt.
All diese Entwicklungen werfen die Frage auf, wie Wissenschaftler:innen an Universitäten, Forschungsstellen, aber auch an Museen, Landesstellen und kleineren Institutionen, die ebenfalls von diesen Entwicklungen betroffen sind, mit den resultierenden Unsicherheiten Überraschungen in ihrem Arbeitsalltag und in ihrer Forschung umgehen können. Zugleich zielt die Roundtable auch darauf ab, Perspektiven auf Initiativen zur Gegenwehr und Resilienz zu eröffnen.