Cora Cassandra Kleesiek M.A. (Innsbruck/AUT, Jena)
Transformative Erfahrungen von Weitund Fernwanderungen im Spannungsfeld von Zufall, Kontingenz und Überraschung
Das Phänomen des Weitwanderns verbindet die physische Bewegung durch äußere Landschaften mit einer inneren Reise, die oft von unerwarteten Wendungen, Zufällen und Überraschungen geprägt ist. In diesem Beitrag untersuche ich die Rolle von Kontingenz und Zufälligkeit in den Erfahrungswelten von Weitwandernden und analysiere, wie diese Erlebnisse die Selbstkonzepte der Wandernden verändern. Dabei greife ich auf ethnografische Methoden zurück, darunter autoethnografische Ansätze, Interviews und die Analyse von Erfahrungsberichten.
Im Zentrum der Analyse stehen Momente des Unvorhergesehenen – von zufälligen Begegnungen über plötzliche Wetterumschwünge bis hin zu unerwarteten emotionalen Einsichten. Diese Episoden verdeutlichen die Wirkmacht von Kontingenz als Katalysator, die Routinen durchbricht, neue Möglichkeiten aufzeigt und transformative Prozesse anstößt.
Theoretisch stützt sich die Untersuchung auf Konzepte des Übergangsrituals (van Gennep, Turner) sowie auf kulturwissenschaftliche Ansätze zu Kontingenz und Überraschung (u. a. Lindner, Pflaumbaum). Dabei wird Weitwandern als eine Praxis verstanden, die sowohl die Kontrolle über das Eigene hinterfragt und eine Phase der Instabilität darstellt als auch die Offenheit für das Unvorhergesehene kultiviert.
Erste Ergebnisse zeigen, dass die Wandernden das Zufällige nicht nur als Störung erleben, sondern als Glücksmomente und Gewinn von neuen Perspektiven auf sich Selbst und die Welt erleben. Überraschungen werden so zu Schlüsselereignissen, die Identität stiften. Gleichzeitig zeigt sich, dass diese Momente oft eine Art unbewusste Suche nach Serendipität spiegeln: Das Finden von neuen Ideen oder Impulsen geschieht scheinbar zufällig, ist jedoch häufig tief mit der Intention der Wandernden verbunden, Veränderung zu erfahren. Die Praktik des Wanderns wird dabei bewusst gewählt, die starke Auswirkung von zufälligen Begebenheiten unterwegs hingegen kaum einkalkuliert. Das Spannungsfeld zwischen absichtsvollem Aufbruch und zufälligem Ergebnis wird damit zur Quelle kreativer und reflexiver Prozesse.
Dieser Beitrag leistet einen Beitrag zur aktuellen Diskussion über die produktiven Potenziale von Zufall und Kontingenz in kulturellen Praktiken und liefert neue Einblicke in die transformative Kraft des Weitwanderns. Er steht außerdem im Zusammenhang meines Promotionsvorhabens in der Europäischen Ethnologie.