Tobias Becker M.A. (Hamburg)
Hörner zu Hasenohren: Zur Kultur- und Mediengeschichte einer Photobombing-Geste
Die wohl populärste Form des Photobombings, also des plötzlichen Störens der Aufnahme eines Bildes, geht so: Jemand hält spontan zwei ausgestreckte Finger meist unbemerkt hinter den Kopf einer anderen abgelichteten Person. Doch was als rein scherzhaftes Überraschungsmoment scheint, besitzt in Wahrheit eine lange und reichhaltige Kulturgeschichte. Diese meist als ‚Hasenohren‘ bezeichnete Bildgeste körperlicher Verfremdung tauchte nämlich etwa bereits in Gemälden des 16. Jahrhunderts auf und diente einer handfesten Verspottung. Denn die Finger markierten eine meist maskuline Person hinterrücks als gehörnten Ehemann und stellten ihn so als einen von seiner Frau Hintergangenen bloß. Die verräterische Geste offenbarte in ihrer vermeintlichen Beiläufigkeit, ja in einer geradezu ostentativen Zufälligkeit den erlittenen Ansehensverlust innerhalb der Sozial- und Geschlechtsverhältnisse. Die visuelle Interruption bot daher den Interpretationsschlüssel für eine meist anspielungsreich dargestellte Interaktion zwischen den Geschlechtern. Der künstlerisch ganz gezielt inszenierte Moment der Zufälligkeit war somit für das entstandene Bild konstitutiv.
Ab dem 20. Jahrhundert hingegen enthüllte dieselbe Geste nun genau umgekehrt ein entstandenes Bild als einen Moment der Zufälligkeit. Denn mit der privaten Alltagsfotografie und dem situativen Ausnutzen von neuen spontanen Eingriffsmöglichkeiten in die Bildkomposition verbreitete sich die Hasenohren-Geste enorm. Zugleich rückten vor allem Überraschungseffekte von harmlosem Jux und neckischer Ironie in den Vordergrund. Als Teil eines informellen visuellen Spiels und als humorvoller Ausdruck des Spontanen im Moment der Fotoaufnahme büßte die Geste ihre einst pikante Bedeutung deutlich, aber keineswegs vollständig ein. Doch wie genau wandelten sich die semantischen Konstellationen dieser zufallsbezogenen Bildgeste?
Wie veränderten sich die damit verbundenen Formen der Fremd- oder Selbstbelustigung? Und wohin führte es, dass diese Bildästhetik des Unerwarteten zum globalen Phänomen visueller Alltagskultur und damit zunehmend erwartbar wurde?
Entlang solcher Fragen analysiert der Beitrag einige kultur- und medienhistorische Transformationen dieser Geste und geht ihrem Status zwischen anscheinender und scheinbarer Zufälligkeit nach. Als empirische Basis dienen dazu etliche Bildquellen – von der Renaissance zu Social Media, von Hörnern zu Hasenohren.