Jana Stöxen M.A. (Regensburg)
Mehr coincidență, weniger Risiko? Digitale soziale Netzwerke und ihre Informationsökonomien im transnationalen Feld moldauischer Migration
Die „Discovery-Phase“ der Pioniermigration (Cingolani 2007) ist vorüber. Diejenigen, die um die Jahrtausendwende den risikoreichen Weg ins Ausland nahmen, sind längst nicht mehr die einzigen Wegbereiter:innen einer transnationalen Informationsökonomie. Soziale Medien, in denen Gruppen wie ‘Moldoveni in Germania’ Zehntausende Mitglieder versammeln, haben migrationsbezogenes Wissen und Erwartungshorizonte verändert. Heute stellen Moldauer:innen, die ihr Herkunftsland verlassen (wollen), ihre Fragen dort und erhöhen so ihre Chancen im ‚Wettspiel Migration‘.
Trotz geringer Überprüfbarkeit ist die schnelllebige ‚Schwarmintelligenz‘ beliebtes Mittel im Versuch einer misstrauensgeprägten Risikominimierung (Mühlfried 2019; Višić 2022). Die geringe Regulierung und die schiere Menge der Threads dieser Foren sind jedoch, anknüpfend an Granovetters „Strength of Weak Ties“ (1973), kein Hindernis des Informationsflusses, sondern seine Stärke: Digitale soziale Netzwerke sind Infrastrukturen mobiler Lebensmodelle; ihre Knotenpunkte stellen eine erhebliche Ressource dar, fungieren als asymmetrische (Gaben)Tauschbörsen aus Optionen und günstigen Gelegenheiten, etwa im Bereich des informellen Arbeitsmarktes, des Verkehrs- und Remittancewesens (Meyer/Ströhle 2023).
Als Fundgrube ethnografisch-stöbernden Forschens (Breidenstein et al. 2020), das die Befunde klassischer Feldforschung im transnationalen, moldauisch-deutschen sozialen Feld zwischen 2021 und ‘24 ergänzt, geben die Posts und das Erzählen darüber zudem Einblicke in die Dynamiken einer für das Migrationsland Moldau zunehmend wichtigen, im Ausland lebenden Staatsbevölkerung.
Deren Migration scheint indes weniger als Zäsur (Nauck 2001), da die Strukturen des digital-ko-präsenten Miteinanders (Baldassar 2008) Lebensstrategien neu formatieren (Löfgren 2016; Amelang 2023) und den Weggang abfedern. Das wirft jedoch die Frage auf, inwiefern Abwanderung – vom Impuls des Aufbruchs (Hirschman 1970) bis zur Verstetigung des Mobilitätsprojekts (Sandu 2000; Schmidt 2021) – überhaupt noch als zufallsaffine Praxis gefasst werden kann: Wie navigieren die mobilen Akteur:innen mit (oder wider?) dem Zufall; inwiefern trägt ihre routinierte Verwendung entsprechender Netzwerke zu seiner Einhegung bei; wie betten sie diese Praxis narrativ ein? Und: inwiefern stiften die digitalen Verbindungen der„‚connected users‘“ (Ponzanesi 2020: 978) neue, koinzidente Netzwerke, insbesondere im Hinblick auf das Geflecht (Cohen 2020) einer Diaspora?