PD Dr. Sebastian Dümling (Würzburg)
Kontingenztheorie als Alltagstheorie? oder: Hoffentlich werden die Erwartungen enttäuscht!
Der Vortrag widmet sich Kontingenz als Ausgangsbedingung sozialer Handlungen, mithin sozialer Welt. Ziel ist, mit Rückgriff auf die bestehende, vor allem soziologische Theorietradition, einen Kontingenzbegriff zu präsentieren, der für die empirisch-kulturwissenschaftliche Alltagsforschung fruchtbar sein kann. Zunächst werden dafür zentrale systemtheoretische sowie interaktionistische Positionen zur Kontingenz theoriegeschichtlich referiert. Daraus soll die Grundannahme freigelegt werden, dass Handlungen nur im Erlebenshorizont ihrer Kontingenzhaftigkeit als soziale Handlungen getätigt werden können. Daran knüpft die Frage an, wie ein solcher Begriff der Kontingenz als Ausgangspunkt für eine Theorie des Alltags genutzt werden kann. Theoretisch besonders vielversprechend daran ist die empirische Skalierbarkeit solcher kontingenzabhängigen Handlungen: Die Interaktion zwischen Menschen wird genauso von Kontingenzen bestimmt wie auch die Interaktionen sozialer Institutionen, deren Funktion gerade darin besteht, Kontingenz auf Akteursebene zu organisieren.
Der Vortrag wird insofern keine neue Kontingenztheorie entwickeln, sondern eine Zusammenschau der bisherigen Theoriediskussion bieten. Dabei wird gleichwohl die disziplinäre Frage adressiert, weshalb in der (Post-)Volkskunde die Kontingenztheorie kaum so intensiv diskutiert wurde wie in anderen, verwandten Fächern: In der Soziologie ist der Begriff seit den 1950er Jahren zentral, in den deutschsprachigen Geschichts- und Literaturwissenschaften wurde vor allem in den 1980er und 1990er Jahren im Anschluss an N. Luhmann über Kontingenz diskutiert. Es scheint fachgeschichtlich besehen für die EKW als sogenannte ‚Alltagswissenschaft‘ gar nicht so selbstverständlich zu sein, sich mit Kontingenz auf diese Weise zu beschäftigen. Der Vortrag wird diese fachkulturelle Positionierung mitreflektieren.