Felix Gaillinger M.A. (Wien/AUT)
Die Begegnung als demokratische Norm öffentlichen Sitzens? Zur produktiv-unproduktiven Serendipität im Umgang mit Stadtmöbeln
In seinem Roman „Hermelin auf Bänken“ (2024) entwickelt Patrick Holzapfel den Vorschlag, zu ‚bankieren‘, um sich der Erfahrung öffentlicher Räume methodisch innovativ zu nähern. Das Bankieren schließt als eine manchmal sitzende, manchmal umherschweifende Suchbewegung im Stadtraum an die versprechende Produktivkraft des Flanierens an, das die Lust und Last der Suche nach Zufällen und Serendipität auslotet (Bauman 1997, Lindner 2012). Aufgrund seines bürgerlichen Blickes wurde die Figur des Flaneurs – auch von feministischer Seite – kritisiert (Binder 2012, Sauer et al. 2019) und ermutigt ebenso zu einer differenzierten Einordnung des Bankierens: Es lässt die Praxis, dauerhaft an einem Ort zu sitzen, seltsam blass und statisch erscheinen. Im Zuge postpandemischer Sensibilitäten für öffentliche Räume hingegen ist es die öffentliche Sitzgelegenheit, der stadtpolitisch eine zentrale Vermittlungsfunktion beigemessen wird, die mitunter idealisiert ist und die Begegnung im zeitlich ausgedehnten lokalen Aufenthalt zur normativen Messgrößer erfolgreicher demokratischer Teilhabe macht. Stadtmöbel richten den öffentlichen Raum ein und plausibilisieren den Konsum räumlicher Öffentlichkeiten durch ihre Gebrauchswerteigenschaft (Negt/Kluge 1972, Seitter 2007). Öffentlichkeit wird so zu einer empirischen Referenzgröße und ungleich verteilten Ressource. Im Zuge meiner Dissertation und einer 2024 abgeschlossenen Third Mission-Forschung mit dem Volkskundemuseum Wien, Radio dérive und der Boulevardzeitung AUGUSTIN erprobte ich eine experimentelle Perspektive auf das Sitzen: Wir setzten Klappstühle in drei Wiener Randbezirken ein, um Stadtmobiliar jenseits fest im Boden verankerter Bänke bereitzustellen. In mehrstündigen ‚Sesselversammlungen‘ hielten wir sitzend aus und gewannen eine produktiv-unproduktive Perspektive auf Zufallsbegegnungen. Die Klappstühle ermöglichten den dynamischen Umgang mit der Einrichtung und führten zu unerwarteten Nutzungspraktiken. In meinem Vortrag folge ich dieser Spur und lote die Möglichkeiten aus, die mit der perspektivischen Umkehrung des Bankierens einhergehen: Die Sesselversammlungen fokussierten weniger das demokratisierende Begegnen als vielmehr die Nutzung örtlicher Materialien. Ich werde argumentieren, dass der Umgang mit Stadtmöbeln das Bankieren im Verhältnis zum Sitzexperiment eine erfahrungsgeleitete Auseinandersetzung mit Unerwartetem auf besondere Weise ermöglicht.