Sektion_7_A

Gina Dellagiacoma MA (Zürich/CH)
„Ich bin berühmt und ich will es auch bleiben.“ Inszenieren und improvisieren in Forschungsinterviews

„Wenn dieser Ordner jetzt in der Cinémathèque suisse wäre, könnte ich ihn dir nicht zeigen“, sagt meine Interviewpartnerin, als sie mir im vergangenen Herbst unterwartet Dokumente aus ihrem Privatarchiv anvertraut. Ein Glücksfund? Per Zufall vergessen, dem Archiv zu übergeben? Oder der Versuch, ihr Vermächtnis zu gestalten? Dieses Paper bietet eine empirisch-kulturwissenschaftliche Annäherung an solche Handlungen, die sich im Spannungsfeld zwischen Improvisationen und Inszenierungen der Forschungspartner*innen bewegen. Im Fokus stehen die von mir geführten Oral History Interviews mit feministischen Filmemacherinnen der Neuen Frauenbewegung in der Schweiz (1968–95). Aus einer praxeologischen Perspektive spielen in meiner Forschung vermeintliche Zufälle in den Interaktionen eine wichtige Rolle: Dazu gehören ungeplante Funde relevanter Materialien im Privatarchiv genauso wie unerwartete Erzeugungen von Irritation oder Intimität in der Forschungsbeziehung. Ein Close Reading dieser ethnografischen Szenen liefert aufschlussreiche Einsichten in die vergangenen wie gegenwärtigen Handlungsorientierungen und -möglichkeiten der sogenannten „Pionierinnen“ des Schweizer Films. Diese scheinbar ausserhalb der interviewten Erzählung liegenden und sich beiläufig abspielenden Tätigkeiten verstehe ich als Teil der „biografischen Arbeit“ (Bettina Dausien) der Akteur*innen, also als sinnstiftendes Hervorbringen ihres bereits gelebten und des noch erwarteten Lebens. Daran anschliessend stellt mein Vortrag folgende Fragen: Was sind die Bedingungen und Bedingtheiten dieser spezifischen Handlungen? Inwiefern können sie als Praktiken der (Selbst-)Inszenierung verstanden werden? Und in welcher Hinsicht erweisen sie sich als feministische Strategien der Intervention in hegemoniale (Film-)Geschichtsschreibungen? Der Vortrag präsentiert eine Vielfalt an empirischen Materialien aus meiner laufenden Dissertationsforschung wie Transkripte und Feldnotizen, audiovisuelle und schriftliche Dokumente. Die gewonnenen Einsichten und weiterführenden Fragen setze ich in Relation zu übergeordneten Auseinandersetzungen in den feministischen Wissenschaftstheorien und Biografieforschungen sowie dem archival turn in den Queer- und Postcolonial Studies.

 

Christian-Albrechts-Universität Kiel

TU Dortmund, Emil-Figge-Straße 50 (Foto: Roland Baege)
TU Dortmund, Emil-Figge-Straße 50 (Foto: Roland Baege)

Veranstaltungsgebäude 2

Dietrich-Keuning-Haus, Dortmund
Dietrich-Keuning-Haus, Dortmund