Louisa Gehl M.A. (Dresden) / Aline Fuß M.A.(Dresden)
„… und dann bin ich durch Zufall hier gelandet.“ First-Generation-Studierende an privaten Hochschulen und das Narrativ des Zufalls im Kontext der Studienaufnahme
First-Generation-Studierende (FGS) rahmen ihren Zugang zu Hochschulen oft als Zufall oder Glück (Kellmer 2015), so auch in unserer Untersuchung. Unsere Daten zeigen, dass Studienberatende bei der Begleitung aller Studierender organisational vorgegebene Praxen mit dem Ziel der Immatrikulation aller Studieninteressierten folgen. Gleichzeitig reflektieren die Studierenden die Rolle von Werbung und Unterstützungspraxen der Hochschule in ihrem Entscheidungsprozess. Die Aufnahme eines Studiums an der privaten Hochschule ist somit nicht zufällig oder eine glückliche Fügung, sondern ein interessensgeleitetes Ziel der Organisation.
Im Rahmen des Forschungsprojekts FiPHo werten wir unter anderem Gruppendiskussionen mit FGS und Mitarbeitenden der Hochschule zur Betreuung von Studierenden sowie protokollierte Beratungs- und Betreuungssituationen mit der dokumentarischen Methode aus (Bohnsack 2021). Besonderheiten der von uns erforschten privaten Hochschule sind der fehlende NC, die lebensnahe Werbung in digitalen Räumen, ein deutschlandweites Netz an Hochschulstandorten sowie möglichen Praxispartnern und das damit einhergehende Versprechen eines Studiums für alle.
Wie und in welchem Zusammenhang dieses kulturell situierte Narrativ als Deutungs- und Erklärungsmuster seitens dieser Studierendengruppe trotz einer starken Lenkung durch die Studienberatenden in der biografischen Übergangssituation aufrechterhalten wird, möchten wir im Rahmen unseres Beitrags ausloten. Wie bei Kasabova und Langreiter (2007) ist nicht davon auszugehen, dass die Bildungsbiografien „beliebig sind, sondern ein konkretes Ensemble von Bedeutsamkeit und Erfahrungen repräsentieren.“ (Kasabova/Langreiter 2007, S.195). Wir deuten unsere Befunde so, dass insbesondere FGS die Aufnahme eines Studiums als Wagnis erleben und aus dieser Unsicherheit heraus ihren Einsatz als Zufall und die Annahme aller als persönliches Glück rahmen.
Bohnsack, Ralf, Rekonstruktive Sozialforschung. Einführung in qualitative Methoden, 10. erweitere Auflage, Opladen und Toronto 2021.
Kasabova, Anelia/Langreiter, Nikola, Zufall und Glück in lebensgeschichtlichen Erzählungen von Kulturwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern, in: BIOS. Zeitschrift für Biographieforschung, Oral History und Lebensverlaufanalysen, 2:2 (2007), S. 184–213.
Kellmer, Ariana, Biografische Orientierungen von BildungsaufsteigerInnen in der Studienentscheidung, in: ZSE Zeitschrift für Soziologie der Sozialisation, 2:4 (2015), S. 187–203.